Differenzierte Sicht auf den Juliputsch 1934

Elementar-Ereignis

Die österreichischen Nationalsozialisten agierten seit dem Verbot der NSDAP im Juni 1933 im Untergrund, ehe sie am 25. Juli 1934 losschlugen. Es war der erste Versuch, die Macht zu übernehmen. Die Ereignisse dieses Tages gingen als "Juliputsch" in die Geschichte ein.

Kurt Schuschnigg hält die Trauerrede für Engelbert Dollfuss

28. Juli 1934. Der damalige Justiz- und Unterrichtsminister Kurt Schuschnigg, später letzter österreichischer Bundeskanzler der 1. Republik, hält am Grab von Engelbert Dollfuss die Trauerrede. Drei Tage zuvor, am 25. Juli 1934, war der Führer des autoritären Ständestaates von einer SS-Einheit ermordet worden.

Es war der erste Versuch der Nationalsozialisten, die Macht im Land zu übernehmen. Die Ereignisse des 25. Juli gingen als "Juliputsch" in die Geschichte ein. Der Putsch sollte ein "Elementar-Ereignis" werden; Elementarereignis war denn auch das vereinbarte Losungswort, das via Rundfunksender RAVAG verbreitet wurde und mit dem es losgehen sollte, schreibt Kurt Bauer, der sich dieses Losungswort als Titel für sein Buch ausgeliehen hat.

Akribisch recherchiert

Auf der Basis seiner Dissertation hat Autor Kurt Bauer für das vorliegende Buch akribisch und detailreich aufgearbeitet, was da am 25. Juli und an den darauffolgenden Tagen im Land passiert ist. So sind gut 100 Seiten des Buches dem Verlauf der Kämpfe in den einzelnen Orten gewidmet, was dem Buch denn auch den Charakter eines Nachschlagewerks verleiht und sich weniger zur durchgängigen Lektüre anbietet.

Dass die Nationalsozialisten nach dem Verbot ihrer Partei im Juni 1933 in Österreich einen gewaltsamen Umsturz überlegten, sei keineswegs erstaunlich, schreibt Kurt Bauer, hatte sie doch die Auflösung des Parlaments durch Engelbert Dollfuss der Möglichkeit beraubt, durch Wahlen an die Macht zu kommen, wie es Hitler in Deutschland gelungen war.

Aus nationalsozialistischer Sicht war der Juliputsch ein katastrophaler Fehlschlag. Das austrofaschistische Regime konnte den Aufstand der Nationalsozialisten und ihrer Verbündeten problemlos unterdrücken. Geheime Appelle und wildromantische, verbotene Kriegsspiele, Hakenkreuz-schmierereien und Flugzettelausstreuungen, das nächtliche Abzwicken von Telegraphenleitungen, das Sprengen von Telefonzellen und Geschäftsportalen waren eine Sache - der offene Aufstand, Bürgerkrieg, gefechtsmäßiger Kampf eine andere.

Schlecht organisiert und ausgerüstet

Die NS-Bewegung war geschwächt, resümiert Kurt Bauer. Auf lokaler Ebene sei der Aufstand zwar gut organisiert gewesen, viele lokale Naziführer hätten jedoch die Signale zum Aufstand nicht hören wollen, weil sie gewusst hätten, dass die Sache nur in einem Desaster enden könne. Trotz aller Gewaltbereitschaft sei die illegale SA zu schlecht ausgebildet und bewaffnet gewesen, um den Bundesheertruppen Paroli bieten zu können.

Wer kennt sie nicht, die Argumente: "Hitler hat die Arbeitslosigkeit besiegt" oder auch: "Im dritten Reich wurde ordentliche Beschäftigungspolitik gemacht"? Das sei das gängige Deutungsmuster, meint Kurt Bauer, der von einem Modernisierungsstau in den 30er Jahren spricht und einer daraus resultierenden Negativ-Stimmung, die von den Nationalsozialisten instrumentalisiert worden ist.

Arbeitslose, junge Menschen ohne Perspektive

Für seine sozio-historische Untersuchung hat Bauer die Daten von 2.500 am Juliputsch Beteiligten analysiert, und er hat die Lebensgeschichten von neun ehemaligen Nationalsozialisten analysiert. Das Ergebnis ist der interessanteste Teil seiner Arbeit, denn es entsteht ein sehr differenziertes Bild. Arbeitslose, junge Menschen ohne Perspektive - das ist das Potenzial der Nationalsozialisten. So war denn auch der Juliputsch ein Aufstand der deprivilegierten Jugendlichen.

Für diese Gruppen war der Nationalsozialismus eine soziale, ja sozial-revolutionäre Bewegung. Ihren durchaus religiösen Impetus, durchzogen vom protestantischen Widerstandsgeist, schreibt Kurt Bauer, bezogen die Nationalsozialisten aus dem Bewusstsein, an einer sozialen und nationalen Revolution mitzuwirken. Und im Juliputsch 1934 wurde lediglich angedeutet, was im März 1938 voll zum Ausbruch kommen sollte.

Service

Kurt Bauer, "Elementar-Ereignis". Die österreichischen Nationalsozialisten und der Juliputsch 1934, Czernin Verlag, ISBN 3707601641