Das RSO Wien spielt Prokofjew

Musikalische Erkundungsreise neu

Philosophierten bisher in der Reihe "Klassische Verführung" Interpreten über Meisterwerke der Musik, erörtert nun Wilhelm Sinkovicz mit Musikern des RSO Wien jeweils ein symphonisches Werk. Den Auftakt bildet Prokofjews 5. Symphonie.

Die Sendereihe "Klassische Verführung" war bisher Interpreten vorbehalten, die über die Meisterwerke der Musikgeschichte philosophierten. Mit Beginn der neuen Spielzeit erhielt der Zyklus ein neues Gesicht.

Moderator Wilhelm Sinkovicz betrachtet mit Musikern des RSO Wien jeweils ein Werk des symphonischen Repertoires. Kurze Tonbeispiele, jeweils live musiziert, ermöglichen es, die Komposition im Detail kennen zu lernen und in die Geheimnisse musikalischer Strukturen einzudringen. Danach wird das Werk zur Gänze gespielt.

Start mit russischer Moderne

Am Beginn dieser Erkundungsreise durch die Gefilde der Klassik stand ein Meisterwerk des 20. Jahrhunderts:

Sergej Prokofjews Symphonie Nr. 5, B-Dur, op. 100, die er gegen Ende des Zweiten Weltkriegs komponierte. Am Pult stand der junge russische Dirigent Tugan Sokhiev (aufgenommen am 17. Oktober im RadioKulturhaus Wien).

Sergej Prokofjew (1891-1953)

Prokofjew wurde am 23. April 1891 als Sohn eines Gutsbesitzers in Sonzowka im Osten der Ukraine geboren. Den ersten Musikunterricht erhielt er von seiner Mutter, dann studierte er bis 1908 Klavier und Komposition am Konservatorium von St. Petersburg.

Er arbeitete mit dem modernen Russischen Ballett von Sergej Diaghilew und machte sich 1913 mit seinem wuchtigen Klavierkonzert Nr. 2 einen Namen.

Emigration 1918 und Rückkehr

1918, kurz nach der kommunistischen Oktoberrevolution, emigrierte Prokofjew und wurde mit der Oper "Die Liebe zu den drei Orangen" (1919) weltberühmt. Nach 15 Jahren in Japan, Europa und den USA kehrte er in die Sowjetunion zurück.

Von KPdSU hofiert und misstrauisch beobachtet

Er sympathisierte nicht mit dem Stalinismus, wollte aber eine führende Rolle im Musikleben seiner Heimat spielen. Das Regime hofierte den bekannten Künstler und misstraute ihm zugleich.

Prokofjew schuf weiterhin Meisterwerke wie die Ballette "Romeo und Julia" (1940), "Aschenbrödel" (1944) und die Oper "Krieg und Frieden" (1941-1953, Uraufführung erst 1957).

Politische Auftragswerke

Selbst politische Auftragsstücke wie pompöse Kantaten zum 20. und 30. Jahrestag der Oktoberrevolution und ein "Trinkspruch" auf Stalins 60. Geburtstag 1939 zeigen unverkennbar Prokofjews facettenreiche musikalische Handschrift. Doch die Kulturbürokraten spürten in den harten, dissonanten Klängen auch die versteckte Ironie auf.

Vorwurf des westlichen "Formalismus"

1948 bezichtigte die Parteiführung Prokofjew, Schostakowitsch und andere Komponisten, vom westlichen "Formalismus" infiziert zu sein. Solche Vorwürfe konnten unter Stalin ein Todesurteil bedeuten.

"Ich habe mich unzweifelhaft der Atonalität schuldig gemacht", musste der Komponist Selbstkritik üben. "Ich werde nach einer klaren musikalischen Sprache suchen, die dem Volk verständlich ist."

1952 rehabilitiert

Mit seiner 7. Symphonie 1952 wurde Prokofjew zwar rehabilitiert, doch der "Komponist im Schatten Stalins", wie Biografin Maria Biesold schreibt, war ein kranker und gebrochener Mann.

Schicksalshafte Ironie

Der Tod schuf eine bittere Ironie: Der russische Komponist Sergej Prokofjew starb am 5. März 1953 - am selben Tag wie Diktator Josef Stalin. Im Schock der Sowjetunion über das Ableben des allmächtigen Diktators wurde der Tod des Musikers am selben Tag gar nicht wahrgenommen.

Prokofjew wurde ohne Öffentlichkeit auf dem Friedhof des Neujungfrau-Klosters in Moskau beigesetzt. Damit ging eine 20-jährige Gratwanderung zu Ende, in der Prokofjew versucht hatte, zwischen künstlerischer Eigenständigkeit und Dienst am kommunistischen Regime zu balancieren.