Das Ende einer der bedeutendsten Städte

Aufstieg und Fall der Stadt Ninive

10. August 612 v. Chr.: Die Armeen eines Bündnisses aus Babyloniern und Medern nehmen die assyrische Hauptstadt Ninive ein und zerstören sie vollständig. Die alliierten Truppen vernichten damit die größte und prächtigste Stadt der damaligen Welt.

300 Jahre lang hatte das neuassyrische Reich von Ninive aus den Vorderen Orient in bis dahin einmaliger Weise dominiert. Seine Armeen beherrschten im Norden Anatolien und unterwarfen im Süden den ewigen Rivalen Babylon. Sie dehnten das assyrische Territorium weit in dass iranische Hochland hinein aus und kontrollierten im Westen die Mittelmeerküste mit den großen Städten Damaskus, Tyros, Jerusalem und Ashkelon (Gaza) und die Insel Zypern.

Gelingen konnte diese beispiellose Expansion vor allem durch die "Erfindung" einer neuen Waffengattung: der Reiterei. Seine mobilen Reiterarmeen machten das neuassyrische Reich zum ersten Territorialstaat der Geschichte.

Die Anfänge

Nach heutigen Erkenntnissen beginnt der Aufstieg der nordmesopotamischen Städte am Tigris schon vor 2000 v. Chr.: Sie sind die natürliche Knotenpunkte, an denen die Handelsstraßen zwischen Südmesopotamien - Ur, Uruk, die Stadt des Königs Gilgamesch, Akkad, Babylon - Anatolien und dem iranischen Hochland zusammen laufen. Regiert werden sie von Kaufleuten, die den Handel mit Holz, Wolle, Zinn, Kupfer, Silber und Getreide in diesem Dreieck kontrollieren. Mit der zunehmenden Bedeutung dieses Warenverkehrs steigen ihre Gewinne, ihr Reichtum und ihre Macht.

Um etwa 1800 sind die Städte am Tigris, namentlich Assur, Ninive (assyrisch Ninua, in etwa das heutige Mossul) und Nimrod, so weit, dass sie beginnen, auch politisch ins Geschehen in Vorderasien einzugreifen. Damit startet die assyrische Expansion, die heute in die Phasen des alt-, des mittel- und des neuassyrischen Reichs eingeteilt wird.

Expansion durch Eroberung

Bis etwa 1500 v. Chr. behauptet sich das altassyrische Reich als eine Regionalmacht, die ihre Ausdehnung zeitweise vergrößern kann, in anderen Phasen wieder unter babylonische oder anatolische - hethitische - Dominanz fällt. Ab etwa 1350 erringt das mittelassyrische Reich erstmals die Vormacht über ganz Mesopotamien: Der assyrische König Assur-Ubalit (1363-1328) ist nun auch der König Babylons. Ab 1200 werden nach und nach die Hethiter besiegt und der Weg zum Mittelmeer erobert. Tiglat-Pileser (1114-1076) ist der erste assyrische König, den eine Stele in Ninive in einem Boot auf dem Meer zeigt. Dem folgt allerdings eine Schwächephase, in der das Herrschaftsgebiet der Zwillingsstädte Assur und Ninive wieder auf das nordmesopotamische Kerngebiet reduziert ist.

Um 880 beginnt mit dem König Assur-Nasirbnal II. (883-859) die neuerliche Expansion und damit die Geschichte des neuassyrischen Reiches. 745 erobert Tiglat-Pilesers III. (773-727) erneut Babylon - er lässt sich dort unter dem Namen Pulu zum König krönen - und 732 das feindliche Bollwerk Damaskus. Damit fallen auch Palästina und Gaza an Assyrien, das nun bis an die Grenze Ägyptens reicht. Tiglat-Pilesers zweiter Nachfolger Sanherib (705-681, nach Sargon II., 721-705) macht Ninive endgültig zur Hauptstadt des Reiches, nachdem die Residenz in den Jahrhunderten davor mehrmals zwischen Assur und Ninive gewechselt war.

Ninives Glanzzeit

Die Assyrer bauen Ninive nun konsequent zur größten und prachtvollsten Metropole ihrer Zeit aus. Einmalige Monumente stellen etwa die 25 Meter hohe Doppelmauer aus glasierten Ziegeln rund um die Stadt dar, gewaltige Palast- und Tempelanlagen und ein Stausee samt 50 Kilometer langem Kanal und Aquädukten zur Wasserversorgung. Assur-Banipal (668-627) gründet in Ninive die erste Bibliothek der Menschheitsgeschichte, die systematisch das mesopotamische Schrifttum auf Tontafeln in Keilschrift sammelt und archiviert.

Den Preis für die militärische und kulturelle Expansion zahlen indes die Besiegten: In gleichfalls beispielloser Weise rauben und plündern die Assyrer die unterworfenen Nationen und Städte aus. Der Ausbau Ninives erfolgt durch Heere von Sklavenarbeitern. Zu Herrschaftsinstrumenten zählen Massenfolterungen, Massenhinrichtung und Ausrottung ebenso wie die systematische Deportation ganzer Völker, um diese ethnisch und kulturell zu entwurzeln: Die assyrischen Könige sind damit die "Erfinder" der "ethnischen Säuberung".

Unter Assur-Banipal erobern die assyrischen Armeen kurzzeitig sogar Ägypten, zugleich die maximale Expansion des Reiches. Erstmals in der ägyptischen Geschichte nimmt dabei im Jahr 667 eine fremde Macht auch das oberägyptische Zentrum ein, die heilige Stadt Theben.

Das Ende Ninives und Assyriens

Im Jahr 625 gelingt es dem chaldäischen Heerführer Nabopolassar, ursprünglich ein assyrischer Vasall, der wahrscheinlich aus dem Sumpfland am Unterlauf von Euphrat und Tigris stammt, sich in einem "Coup" Babylons zu bemächtigen, die assyrischen Garnisonen auszuschalten und sich zum babylonischen König zu krönen. In einer diplomatischen Glanzleistung schmiedet er eine Koalition aller Gegner Assyriens, wobei es ihm vor allem gelingt, auch den davor mit ihm verfeindeten Stamm der Meder aus dem Westiran einzubinden.

In einer Serie von Kleinkriegen drängen die Verbündeten die Assyrer vorerst etappenweise zurück. Ab 616 stoßen ihre Armeen ins assyrische Kernland vor. Im Jahr 612 nehmen sie nach zweijähriger Belagerung die Hauptstadt Ninive ein.

Nabopolassar, der alle Denkmäler, Kultstätten und Relikte der verhassten Assyrer planmäßig zerstören ließ, befahl auch, Ninive dem Erdboden gleich zu machen. Dies geschah so gründlich, dass die Überreste der Stadt erst im Jahr 1842 wieder entdeckt wurden.

Allerdings sind diese Überreste von unschätzbarem Wert: Den Großteil unserer Kenntnisse der altmesopotamischen Schriften, so etwa des Gilgamesch-Epos, verdanken wir den von den Eroberern systematisch zerschmetterten Tontafeln aus Assur-Banipals Bibliothek in Ninive.

Hör-Tipp
Betrifft Geschichte, Montag bis Freitag, 17:55 Uhr