Andrea Levys vierter Roman
Eine englische Art von Glück
In ihrem vierten Roman thematisiert die britische Autorin Andrea Levy die Geschichte der ersten karibischen Einwanderer. "Eine englische Art von Glück" leistet einen Beitrag zur aktuellen Seelensuche des multikulturellen Großbritannien.
8. April 2017, 21:58
In der Geschichte der jamaikanischen Diaspora der Nachkriegszeit spielt sie in etwa dieselbe Rolle wie die "Mayflower" für die englische Besiedlung Amerikas, die "Empire Windrush", ein im zweiten Weltkrieg von der britischen Armee beschlagnahmter deutscher Kreuzer, setzte 1948 knapp 500 arbeitsuchende Jamaikaner im Mutterland des im Zerfall begriffenen britischen Kolonialreichs ab.
Auch wenn es damals noch niemand ahnen konnte, war das der Anfang des modernen, multikulturellen Großbritannien, und die Londoner Autorin Andrea Levy kann ihre Herkunft direkt auf diese Schar von Pionieren zurückführen, schließlich war ihr eigener Vater einer der Passagiere.
Because of that ship, that sailing going down now in British history as the point where Britain became multicultural, I mean, whether you agree with that or not, but because my dad was on that ship and, you know, I felt so closely attached to that story, I wanted to go back and have a look at that story and so that‘s where it started from.
Geschrumpftes Empire
Andrea Levys "Eine englische Art von Glück", ihr vierter Roman, in dem sie die Geschichte der ersten karibischen Einwanderer thematisiert, heißt im Original eigentlich "Small Island", ein zweideutiger Titel, der sowohl die soziale Beengtheit des verarmten Jamaika als auch das auf seinen Kern zusammengeschrumpfte britische Empire bezeichnet. Levy erzählt die Geschichte eines Pärchens namens Hortense und Gilbert, die so wie ihre eigenen Eltern in Jamaika heiraten, ohne einander besonders gut zu kennen. So wie ihr Vater bricht Gilbert gleich danach mit der Windrush auf, und so wie ihre Mutter folgt Hortense ihrem Mann erst später nach.
Certainly, the initial sort of coming over on the Empire Windrush and then having been married but not really knowing each other very well, that is taken from my parents‘ story.
Keine idealisierte Heldin
Abgesehen davon, dass Hortense und Gilbert in einem kleinen Zimmer im Londoner Stadtteil Earls Court ihr erstes englisches Zuhause finden, enden da aber laut Andrea Levy auch schon die Parallelen des Romans zum Leben ihrer Eltern.
Wer der Autorin gegenübersitzt, sieht sich allerdings auch zwangsläufig daran erinnert, wie Hortense im Buch ihre honigfarbene Haut beschreibt. Die keineswegs idealisierte Heldin zieht schließlich auch deshalb nach England, weil sie sich von Gnaden ihrer relativen Hellhäutigkeit zu Höherem geboren sieht.
Ausgeprägte Pigmentokratie
In Jamaika, erklärt Andrea Levy, habe es traditionell eine stark ausgeprägte Pigmentokratie gegeben. Gesellschaftlicher Status war vom Hautton bestimmt, ein System, das von ebenjenen Leuten, die es unterdrückt, aufrecht erhalten wurde, und bis heute ein sehr sensibles und schwieriges Thema, vielleicht sogar ein Tabu.
In Jamaica there used to be, I don‘t whether there still is, quite a strong sort of pigmentocracy in that your class could be delineated by the colour of your skin and it‘s a system that is actually policed by the people that it oppresses, so it‘s an incredibly tricky and delicate area, I mean it‘s almost like a taboo.
Vier verschiedene Perspektiven
Aber Andrea Levy beschreibt nicht nur ihre jamaikanischen Hauptfiguren auf differenzierte Weise. Die Handlung wird in zwei Zeitebenen, "Vorher" und "1948", in Form innerer Monologe aus vier verschiedenen Perspektiven erzählt: Gilbert, Hortense, ihre englische Vermieterin Queenie und deren spät aus dem Krieg heimkehrender Mann Bernard. Auf diese Art werden die unterschiedlichen Jugend- und Kriegserfahrungen der Frauen, und ihrer beiden jeweils in der Royal Air Force dienenden Männer einfühlend geschildert, was selbst negative Charakterzüge wie Bernards ungebremsten Rassismus zwar nicht entschuldigt aber gewissermaßen verständlich macht.
Wenn einer wie so viele aus Bernards Generation dazu erzogen wurde, zu glauben, dass er als weißer Engländer, jeder anderen Art von Mensch auf diesem Planeten überlegen ist, dann würde, so Levy, natürlich ein Rassist aus ihm werden.
Bestseller in Großbritannien
Die erstaunliche, ausgeglichene Fairness der Autorin gegenüber allen Seiten ist wohl mit ein Grund dafür, dass sich das Original "Small Island" trotz seines schonungslosen Umgangs mit heiklen Aspekten der Vergangenheit in Großbritannien seit seinem Erscheinen mehr als eine Million mal verkauft hat.
Bei all ihrem Rassismus und ihrer Härte war und ist die britische Gesellschaft immer noch überdurchschnittlich tolerant und offen gegenüber dem Einfluss ihrer Einwanderer. Mit ihrer Geschichte über die von der Generation der Empire Windrush mitgeprägte britische Nachkriegszeit, wollte Andrea Levy ihren Beitrag zur aktuellen Seelensuche des multikulturellen Großbritannien leisten.
Wo gehen die Briten hin?
Der Verlust des Empire sitze noch immer schwer auf der Psyche der Nation, meint sie. Wo gehen die Briten hin, jetzt wo wir wieder eine kleine Insel sind und nicht dieser große Koloss, der in seiner rosa Hautfarbe den Globus beschreitet? All das, sagt Levy, stehe derzeit zur Diskussion, und das sei auch, was es so aufregend mache, heute in Britannien zu leben. Und so furchtbar zugleich.
Hör-Tipp
Ex libris, Sonntag, 13. Mai 2007, 18:15 Uhr
Buch-Tipp
Andrea Levy, "Eine englische Art von Glück", aus dem Englischen von Bernhard Robben, Eichborn, ISBN13 9783821857725