Die vielen Leben des Archie Shepp

"Als wir die Scheiben einschmissen"

Archie Shepp hat Jazzgeschichte geschrieben, als Miterfinder des Free Jazz und aktiver Kämpfer für die Rechte der Schwarzen in den USA. Am 24. Mai feiert der Saxophonist seinen 70. Geburtstag, am 6. Juli gastiert er beim Jazz Fest Wien.

Archie Shepp hat immer wieder polarisiert: In den 1960er Jahren brachte er mit seiner freien Spielweise einen Miles Davis gegen sich auf. Ein Jahrzehnt später waren Avantgarde-Anhänger vor den Kopf gestoßen, als Shepp sich Klassikern wie Duke Ellington zuwandte und in (nur vergleichsweise) konservativer Weise Blues, Gospel und lyrische Balladen einspielte. Für den bis heute politisch engagierten Saxophonisten kein Widerspruch, sondern nur verschiedene Formen von "Black Music".

Ein rebellischer Universitätsprofessor

Seit 1975 unterrichtet Archie Shepp an der Abteilung für Black Studies der Universität von Massachusetts: Musikgeschichte, "revolutionäre Konzepte in der Afro-Amerikanischen Musik", aber auch Musik in Verbindung mit Theater. Immer wieder hat Archie Shepp pointiert zu Image und Bedeutung schwarzer Kultur Stellung bezogen, in den 1990er Jahren etwa gegen die Vermarktung des Rap: "Die schwarzen Kids, die heute von den Massenmedien präsentiert werden, sind zum großen Teil Leute, die keinen Schulabschluss haben", beklagte er sich in einem Interview mit Christian Broecking. "Für die Wahrnehmung eines Black Man, der in einer weißen Welt lebt, ist aber das Verständnis des weißen westlichen Wertesystems immens wichtig".

Was nicht dessen kritiklose Übernahme bedeutet - so lehnt der Musiker Spike Lees (stilistische) Annäherung an Hollywood radikal ab: "Kino ist für mich eine weiße westliche Technik und Spike ein weißer Mann mit schwarzem Gesicht." Genauso scharf wendet er sich gegen hier und da aufflackernden gewalttätigen Aktionismus: "Als wir damals die Scheiben einschmissen, waren wir Teil einer umfassenden sozialen Bewegung: Martin Luther King predigte im Süden, die Black Muslims in Chicago, Malcolm X in New York."

Durch Zufall ins Zentrum der Jazz-Revolution

Archie Shepp, geboren am 24. Mai 1937 und aufgewachsen in Philadelphia, hat selbst Theaterwissenschaften studiert. Berufsmusiker wurde er beinahe zufällig: Ende der 1950er Jahre als arbeitsloser Schauspieler in New York gelandet, griff er zum Saxophon, um sich in Tanzbands Geld zu verdienen - als der Pianist Cecil Taylor ihn fragte, ob er mit ihm eine Platte aufnehmen wolle (The World of Cecil Taylor, 1960).

Der Free-Jazz-Pionier Taylor wurde einer von zwei Mentoren, die Archie Shepp bis heute verehrt - der andere war John Coltrane, bei dessen legendären Projekten "A Love Supreme" und "Ascension" Shepp assistiere. Coltrane trat 1965 mit Shepp beim Festival in Newport auf und verhalf ihm zu ersten Aufnahmen in eigenem Namen. Shepps Platten aus den 1960er Jahren wie "Fire Music" oder "Into the Hot" (geleitet von Gil Evans) haben bis heute nichts an Vitalität eingebüßt.

Ein "Nicht-Künstler" wird (wieder) Kult

Es ging und geht Arche Shepp nicht "nur" um Neuerungen um der Musik willen - sondern etwa darum, sich als schwarzer Mensch in einer bestimmten sozialen und politischen Situation zu definieren. In bestimmter, afrikanisch geprägter Tradition versteht er sicht überhaupt nicht als Künstler: "In unserer mündlichen Kultur kennen wir keine Künstler, wir kennen bestenfalls Community-Mitglieder, die bestimmte soziale Funktionen in einer "Call-and-Response"-Tradition erfüllen."

Die afrikanischen Gewänder bei früheren Auftritten hat Shepp inzwischen meistens gegen konventionelle Anzüge eingetauscht, doch in seinen ästhetischen Ansichten bleibt er rigoros - die Tradition schwarzer Musik ist für ihn mit John Coltrane zu Ende gegangen; Begriffe wie "Black" oder "Jazz" sind für ihn reine Markenzeichen. Er selbst hat seit den 1970er Jahren mit wechselnden Partnern sehr unterschiedliche Projekte realisiert: Gospel mit dem Pianisten Horace Parlan, Duette mit dem Südafrikaner Dollar Brand (Abdullah Ibrahim) oder "Mama Rose" mit Jasper van’t Hof, ein Kultalbum der 1980er Jahre. Am 6. Juli gastiert er beim Jazz Fest Wien: gemeinsam mit zwei Rappern und Computer-Beats - denn die Zeit bleibt (doch) nicht stehen.

Hör-Tipp
Jazztime, Dienstag, 15. Mai 2007, 21:09 Uhr

Buch-Tipp
Christian Broecking, "Der Marsalis-Faktor. Gespräche über afroamerikanische Kultur in den neunziger Jahren", Oreos-Verlag, ISBN 9783923657483

Veranstaltungs-Tipp
Archie Shepp, "Born Free", Freitag, 6. Juli 2007, 21:00 Uhr, Wiener Rathaus/Arkadenhof

Links
Jazz Fest Wien 2007
Archie Shepp