Wiener Aufführungsgeschichte
Boris Godunow
Daniele Gatti dirigierte am Pfingstmontag die Premiere von Modest Mussorgskys "Boris Godunow" an der Wiener Staatsoper. Dieses Werk hat eine abwechslungsreiche und schillernde Rezeptionsgeschichte - auch an der Staatsoper.
8. April 2017, 21:58
Schaljapin als Boris, Ghiaurov als Pimen
Am Pfingstmontag ging in der Wiener Staatsoper die letzte Premiere dieser Spielzeit über die Bühne und brachte nach einer Abwesenheit von fast 13 Jahren endlich wieder Modest Mussorgskys musikalisches Volksdrama "Boris Godunow" in das Repertoire der Staatsoper zurück.
1925 hat unter dem damaligen Opernchef Franz Schalk das Werk Einzug ins Haus am Ring gehalten, kennen lernen konnten es die Wiener allerdings schon drei Jahre vorher in der Volksoper. Dr. Emil Schipper, ein gefeierter Wiener Bariton und promovierter Jurist, hat den Boris an der Staatsoper kreiert, zwei Jahre später sorgte dann Fjodor Schaljapin als Boris bei seinem Wien-Gastspiel für Aufsehen.
Ein Standardwerk
Heute zählt Boris Godunow ohne Zweifel zu den Standardwerken der internationalen Opernliteratur. Das war nicht von Anfang an so, denn der "Ur-Boris", den Modest Mussorgsky 1870 bei der Direktion des Kaiserlichen Theaters von St. Petersburg eingereicht hat, wurde überhaupt abgelehnt und auch seine erweiterte und umgearbeitete Fassung von 1872 - heute als "Original-Boris" bekannt - hatte es anfangs gar nicht leicht.
Zunächst kamen nur Fragmente zur Aufführung: die Krönungsszene etwa, am 5. Februar 1872 in einem Konzert unter Eduard Naprawnik, ein Jahr später in einer Benefizvorstellung die Schenkenszene und die Szenen mit Marina, und noch einmal ein Jahr später, am 8. Februar 1874, folgte endlich die Uraufführung der gesamten Oper im St. Petersburger Mariinsky-Theater.
Später Erfolg
Aber auch das bildete noch lange nicht den Durchbruch; den schaffte das Werk erst lange nach Mussorgsky Tod (1881), und zwar erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts und in der heute sehr zu Unrecht meist abschätzig beurteilten Fassung von Nicolai Rimski-Korsakow. Diese Version und darüber hinaus die Mitwirkung von Fedor Schaljapin hat aber zweifellos den Welterfolg des Boris Godunow begründet.
Nichtsdestoweniger wird in unseren Tagen aber kaum ein Dirigent von Rang es wagen, diese so lange Zeit populäre Rimski-Fassung wieder hervorzuholen. So präsentiert sich "Boris Godunow" also immer noch als "work in progress" und jeder prominente Dirigent sucht sich gerne die ihm gültig erscheinende Fassung oder auch eine Mischung aus mehreren aus. Verlage reden da ebenfalls gerne mit, erschließen sich dadurch ja stets neue Einnahmequellen.
Die Maximalfassung
Allerdings muss darauf hingewiesen werden, dass interessierte Musikologen und Dirigenten auch in früheren Zeiten immer wieder bemüht gewesen sind, den Intentionen des Komponisten so weit wie möglich zu folgen. So hat zum Beispiel Eugen Jochum sich bereits 1936 in Hamburg der sogenannten "Maximalfassung" angenommen, in deutscher Übersetzung, mit Hans Hotter in der Titelpartie, und diese dann mehr als 20 Jahre später auch für den Bayerischen Rundfunk eingespielt.
Was die Wiener Aufführungsgeschichte betrifft, so dürfen vor allem einige hochrangige Interpreten der Titelrolle nicht vergessen werden: Paul Schöffler vor allem, der den Boris schon 1945 in konzertanten Aufführungen im Konzerthaus und im Theater an der Wien gesungen hat (beides waren Vorstellungen im Verband der Staatsoper), auch wenn gerade sein Boris nicht dokumentiert ist. Und natürlich George London und Ludwig Weber, zwei weitere wichtige Boris-Interpreten in der Exilzeit der Staatsoper bis 1955.
Ghiaurov überzeugte
Danach verschwand das Werk wieder für mehr als zwei Jahrzehnte und kam erst 1976 im Haus am Ring wieder heraus, in der Regie von Otto Schenk, unter der musikalischen Leitung von Robert Satanowski und mit Nicolai Ghiaurov in einer seiner überzeugendsten Leistungen. Diese Inszenierung hielt sich immerhin bis 1989, sie wurde 1991 von einer Andrej Tarkowski-Produktion unter Claudio Abbado abgelöst, die allerdings erst fünf Jahre nach dem Tod des berühmten sowjetischen Filmregisseurs den Weg nach Wien gefunden hat und bereits nach 14 Vorstellungen wieder vom Spielplan verschwunden ist.
1998 brachte die Volksoper den "Ur-Boris" in der Regie von Harry Kupfer unter Bertrand de Billy heraus und landete damit einen verdienten Erfolg.
Mehr zur Premiere von "Boris Goduov" in oe1.ORF.at
Links
Wiener Staatsoper
Opera Guide - Boris Godunow, deutsches Libretto