Michael Hamburgers Selbstauskünfte
Pro Domo
Der Hölderlin- und Celan-Übersetzer Michael Hamburger hat im Folio Verlag autobiografische Texte veröffentlicht, die intime Einsichten in die Arbeit an der Sprache erlauben. Schreiben und Lesen gingen in seinem Leben stets ineinander über.
8. April 2017, 21:58
Ohne den 1924 in Berlin geborenen Dichter, Kritiker und Übersetzer Michael Hamburger gäbe es ganz sicher keinen so umfassenden englischen Hölderlin; und es gäbe von Paul Celan über Hans Magnus Enzensberger bis zu Ernst Jandl wahrscheinlich sehr viel weniger deutschsprachige Poesie in englischer Sprache als dies nach Jahrzehnten der Aneignung und Übersetzung durch Hamburger der Fall ist. In Zwiesprache mit der internationalen Poesie ist außerdem ein eigenes dichterisches Werk von großer Vielfalt und Bedeutung entstanden.
Vom Schreiben und vom Lesen
Der nun vorliegende Band "Pro Domo" führt uns in einer Mischung von literarischen und autobiografischen Erzähltexten, von essayistischen Selbstaussagen und Interviews das Schreibleben eines immer noch oder schon wieder viel zu wenig bekannten Schriftstellers vor.
Schreiben und Lesen gingen in diesem Leben stets ineinander über, die Suche nach dem präzisen Ausdruck für die eigenen Gedichte wechselte ab mit der Suche nach der adäquaten Übersetzung fremder Gedichte. Die große kulturpolitische Geste eines kulturellen Transfers zwischen den deutschsprachigen Ländern und England interessierte Hamburger dabei gar nicht so sehr. Es sind vielmehr intime Zwiesprachen mit Dichtern und ganz handfeste Probleme des Übersetzens, von denen die Beiträge handeln.
Wenn man Hamburgers Überzeugung kennt, dass die Genauigkeit der poetischen Sprache der Benennung von Schwankungen, von Widersprüchen dient, dann kann man ermessen, wie schwierig der Prozess des Übersetzens sich gestalten kann.
Vom Leichten im Schweren
Dabei sind es die schwierigen Gedichte, die oft einfacher zu übersetzen sind als die scheinbar einfachen, weil das, was in der einen Sprache von bestechender sprachlicher Einfachheit ist, man denke an Bertolt Brechts späte Gedichte, in einer anderen Sprache Gefahr läuft, banal zu klingen.
Übersetzen lehrt uns, wie das Denken in einer anderen Sprache funktioniert. Dazu kommt Hamburgers Überzeugung, dass nicht ein bestimmter Inhalt das Gedicht ausmacht, sondern eine bestimmt Geste, eine bestimmte Haltung, eine Form von Freiheit: "In der Prosa", schreibt Hamburger, "trifft das richtige Wort den Nagel auf den Kopf. In der Lyrik fällt das richtige Wort wie ein Stein ins Wasser und erweitert den Sinn in immer größeren Kreisen."
Biografie eines Vertriebenen
Hamburgers Existenz zwischen den Sprachen ist biografisch bedingt. Als 9-Jähriger mit seinen Eltern aus Deutschland vertrieben, besitzt Hamburger 1933 die Muttersprache noch nicht in ihrer ganzen Ausdrucksbreite, das Englische hingegen lernt er mühelos und schnell.
Die gute Aufnahme im England der 30er Jahre, ein Preis für die Beherrschung der englischen Sprache, verliehen von Hamburgers Schule, das Studium in Oxford und der Dienst in der englischen Armee machen aus dem exilierten Kind jüdischer Eltern innerhalb von wenigen Jahren einen Dichter in englischer Sprache. Anders als viele andere Vertriebene, wie etwa Erich Fried, schreibt Hamburger bald ausschließlich auf Englisch.
Nach dem Krieg ist Hamburger im von den Engländern besetzten Kärnten stationiert. Der Sohn eines jüdischen Arztes aus Berlin und einer ebenfalls jüdischen Mutter, die später zur Quäkerin wurde, ist frei von Ressentiments und Hassgefühlen; ausgerechnet im naziverseuchten Kärnten fühlt er sich wohl. Der englische Offizier und Dichter deutscher Abstammung wird Direktor und alleiniger Lehrer in einer Schule für Kinder britischer Offiziere am Millstättersee.
Gedanken zur Identitätsfrage
Hamburger betont in Gesprächen stets, dass sein Judentum für ihn nie eine Rolle spielte, was sich aus der Herkunft aus einem völligen assimilierten Elternhaus erklärt. Die Kategorie "jüdischer Autor" weist Hamburger vehement zurück, in einem in "Pro Domo" abgedruckten Aufsatz "Gedanken zur Identitätsfrage" schreibt er, dass jede Verwendung des Begriffs, die nicht einen engen religiösen Bereich meint, so wie man sagt, jemand sei ein "christlicher Schriftsteller", Gefahr läuft, "den aus der Viehzucht und dem Vulgär-Darwinismus abgeleiteten Rassentheorien des Dritten Reichs, wenn auch mit ganz entgegen gesetzten Zielen, eine fortdauernde Gültigkeit zu verschaffen."
Das Buch der Woche ist eine Aktion von Österreich 1 und der Tageszeitung Die Presse.
Hör-Tipps
Kulturjournal, Freitag, 1. Juni 2007, 16:30 Uhr
Ex libris, jeden Sonntag, 18:15 Uhr
Buch-Tipp
Michael Hamburger, "Pro Domo. Selbstauskünfte, Rückblicke und andere Prosa" Hg. von Iain Gailbraith, Folio Verlag, ISBN 3852563445
Link
Folio Verlag - Pro Domo