Keine echte Veränderung in Sicht

Humanressource Frau?

Seit den Amsterdamer Verträgen von 1997 ist Gender Mainstreaming in der Politik der Europäischen Union verankert. Den geschlechterpolitischen "Mainstream" hat das neue Instrument jedoch nicht verändert, kritisieren feministische Wissenschaftlerinnen.

Von der Grundidee her klingt das Konzept viel versprechend. "Gender Mainstreaming" bedeutet, bei allen politischen Planungs- und Entscheidungsschritten immer genau zu prüfen, wie sich diese auf die Gleichstellung von Frauen und Männern auswirken. Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern werden damit nicht länger ins frauenpolitische Eck verbannt, sondern zu einem Thema in allen politischen Bereichen - von der Sozial- und Wirtschaftspolitik bis hin zur Verkehrspolitik.

Seine Karriere startete das Konzept, das ursprünglich aus der Frauenbewegung kommt, auf der 4. UN-Weltfrauenkonferenz in Peking 1995. Frauen-NGOs forderten damals, Gender Mainstreaming als politisch verbindliches Instrument zu etablieren - mit Erfolg, wie die Amsterdamer Verträge von 1997 zeigen. Sie verpflichten alle Mitgliedstaaten der EU, Gender Mainstreaming in ihren öffentlichen Verwaltungen umzusetzen. Wie jedoch das genaue Prozedere aussehen soll, darüber schweigen sich die EU-Positionspapiere aus.

Neues Instrument - alte Stereotype?

Und hier fangen, wie die Wiener Politikwissenschaftlerin Gundula Ludwig kritisiert, auch die Probleme an. Denn wie konkret gemainstreamt wird, hängt immer von den jeweiligen Expertinnen und Experten ab - und davon, was diese unter Geschlechterpolitik verstehen. Ein Fallbeispiel aus Schweden: "Dort wurden Kinderspielplätze gegendert, weil man draufgekommen ist, dass am Fußballplatz immer nur die Knaben spielen. Da hieß es dann, jetzt brauchen wir auch was für die Mädchen. Und dann haben sie dort eine Puppenecke aufgebaut."

Der Appell von Gender Mainstreaming, die spezifischen Bedürfnisse von Frauen und Männern ernst zu nehmen, führt also nicht selten dazu, dass klassische männliche und weibliche Stereotype erst recht wieder verstärkt werden. Wenn die Bedürfnisse von Frauen dann wieder auf die Bedürfnisse potenzieller Mütter reduziert werden, ist es mit der gesellschaftsverändernden Kraft von Gender Mainstreaming nicht weit her.

Beschäftigungspolitische Strategie

Neben der geringen inhaltlichen Verbindlichkeit monieren Kritikerinnen und Kritiker auch, dass Gender Mainstreaming ein höchst technokratisches Instrument sei. Man erstelle zwar fleißig geschlechtersensible Statistiken und prüfe, wo in Organisationen Männer und wo Frauen sitzen, die Frage nach dem Warum bleibt aber häufig auf der Strecke, kritisiert die Wiener Politologin Ines Hofbauer. "Dass Karrieren männlich strukturiert sind und auf der Voraussetzung beruhen, zuhause versorgt zu werden, die volle Energie in den Job zu stecken und 60 Stunden zu arbeiten, diese Strukturen bleiben im Hintergrund."

Diese blinden Flecken sind, so Gundula Ludwig und Ines Hofbauer, im Kern schon in den EU-Dokumenten angelegt. Bestmögliche Integration von Frauen in bestehende Strukturen, lautet dort die Devise, die im Schlagwort von der "Humanressource Frau" gipfelt. Die Hauptstoßrichtung ist damit klar, meint Ines Hofbauer: "Man muss die geschlechtlichen Differenzen - da spricht man auch von den 'typisch weiblichen' Kompetenzen der Kommunikation, des Sozialen - für den Arbeitsmarkt und die Wirtschaft produktiv machen."

Kein emanzipatorisches Potenzial

Von der Grundidee des Gender Mainstreamings, den Mainstream der Gesellschaft selbst zu verändern - sowohl für Frauen als auch für Männer -, bleibt somit wenig übrig. Die an der Wirtschaftsuniversität Wien lehrende Politologin und Ökonomin Gabriele Michalitsch zieht daher eine negative Bilanz über die bisherige Praxis des Gender Mainstreamings: Was immer das Instrument an positiven Gleichstellungseffekten gebracht haben mag, neoliberale Politiken der Flexibilisierung und Deregulierung hätten diese ausgehebelt:

"Wir haben eine zunehmende ökonomische Abhängigkeit von Frauen. Wir haben eine Zunahme an unbezahlter Versorgungsarbeit, die vorrangig von Frauen erbracht wird. Und das hat natürlich mit dem Rückbau von öffentlichem Leistungsangebot zu tun und mit der fehlenden Ausweitung dieses Leistungsangebots - etwa im Bereich der Pflege, im Gesundheitsbereich und in der Kinderbetreuung."

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Hör-Tipp
Diagonal, Samstag, 30. Juni 2007, 17:05 Uhr

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Buch-Tipps
Ute Behning, Birgit Sauer (Hg.), "Was bewirkt Gender Mainstreaming? Evaluierung durch Policy-Analysen", Campus Verlag, 2005, ISBN 3593376083

Luise Gubitzer, Susanne Schunter-Kleemann (Hg.), "Gender Mainstreaming. Durchbruch der Frauenpolitik oder deren Ende?", Peter Lang Verlag, 2006, ISBN 3631532512

Miriam Pobitzer, "De Bello Phallico", Edition Raetia, 2006, ISBN 978-8872832592

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Links
Gender Mainstreaming
Arbeitsgruppe Gender Mainstreaming