"Grüner Hügel" Erl

Wagner total

Sergiu Celibidache war hingerissen von der Akustik des Passionsspielhauses in Erl nahe Kufstein, seinem Dirigentenkollegen Gustav Kuhn blieb es vorbehalten, dort vor mittlerweile zehn Jahren die Tiroler Festspiele Erl ins Leben zu rufen.

Ein "Ring in 24 Stunden", mit dem die Tiroler Festspiele Erl vor zwei Jahren Furore gemacht haben, ist heuer nicht angekündigt, dafür lautet das Motto: "Der Ring hat sieben Teile". Und im Jahr der 10. Tiroler Festspiele plant deren Gründer und künstlerischer Leiter Gustav Kuhn schon für das 15-Jahr-Jubiläum 2012.

Die Bestandteils-Vermehrung für Richard Wagners im Normalfall vierteiligen "Ring des Nibelungen" ist leicht erklärt: Die Tiroler Festspiele 2007 verstehen sich als Schau des bisher musikalisch in Erl Geleisteten, und so wird Wagner "total" und chronologisch geboten - mit "Tristan und Isolde" zwischen dem zweiten und dritten Aufzug des "Siegfried", den "Meistersingern" in Form einer szenischen Lesung und "Parsifal" als Appendix zur "Götterdämmerung".

Eröffnungsredner Gérard Mortier

Wie immer gibt es flankierend Konzerte des festivaleigenen Orchesters, ebenfalls von Gustav Kuhn dirigiert, heuer mit Musik von Brahms und Bruckner, und jede Menge Zeitgenössisches.

Die Eröffnungsrede hält, wie schon 1998, als er noch künstlerischer Leiter der Salzburger Festspiele war, Gérard Mortier, heute Chef der Pariser Bastille-Oper.

Gründer, Ideengeber, Dirigent, Regisseur

Auch wenn Gustav Kuhn betont, in Erl nie ein Wagner-Festival im Sinn gehabt zu haben: In der Öffentlichkeit werden die Tiroler Festspiele genau so wahrgenommen, als eine von Jahr zu Jahr ernster zu nehmende Alternative zu den Bayreuther Festspielen. Der Vergleich mit dem "grünen Hügel" Bayreuth liegt angesichts des zwischen Wiesen auf einer Anhöhe aufragenden Erler Passionsspielhauses auf der Hand, und dem Vorwurf, Wagner in einem "Kuhdorf" zu spielen, tritt man selbstironisch entgegen: Die Kuhsilhouette vor dem Festspielhaus ist Teil des Erl-Logos.

Den Produktions- und Erregungszyklen des internationalen Musiktheaters hat man sich entzogen: Gustav Kuhn ist, wie seinerzeit sein Mentor Herbert von Karajan, auch sein eigener Regisseur, und setzt, mitunter schmunzelnd, auf Lokalkolorit - für den Feuerzauber der "Walküre" tritt die örtliche Feuerwehr an, die Walküren sausen auf Mountainbikes über die Bühne.

Junge Orchestermusiker

Aber die größte optische Attraktion ist ohnehin das Erler Festspielorchester, das stets deutlich sichtbar im Bühnenhintergrund postiert ist, derart die seinerzeit schon vom Dirigenten-Guru Sergiu Celibidache gerühmte Akustik des Hauses voll nützt, und von nicht wenigen Kritikern mittlerweile über das Bayreuther Festspielorchester gestellt wird.

Im Zeichen des "heiligen Grals"

Diese "Accademia di Montegral" - Wagner und der "heilige Gral" aus "Lohengrin" und "Parsifal" standen Pate - existiert nun seit 20 Jahren und ist eine von Gustav Kuhns anfangs utopisch wirkenden Initiativen: Ein Ort der Rekreation, des Dialogs der Künste, aber auch des beruflichen Trainings für Sängerinnen und Sänger sowie Instrumentalistinnen und Instrumentalisten, wo humanistische Ideale hochgehalten werden und der ausbeuterische Musikbetrieb mit seinen Marktmechanismen das Feindbild darstellt.

So präsentiert sich das Erler Sängerensemble geschlossen als Teil der "Accademia" und erhält von Lucca aus auch regelmäßig Zulauf. Es kann kein Zufall sein, dass die Wotan/Wanderer-Darsteller des ersten kompletten Erler "Rings", Albert Dohmen und Juha Uusitalo, für beide Partien mittlerweile nach Bayreuth und an die Wiener Staatsoper weitergezogen sind.

Zukunftspläne und ein "Winterhaus" für Erl

Nach dem Jubiläumsjahr 2007 denkt man in Erl daran, den Wagner-Werkkanon à la Bayreuth durch den "Fliegenden Holländer", "Lohengrin" und "Tannhäuser" zu ergänzen, vielleicht auch durch Wagner-Opern, die dort nicht gelitten sind, wie "Rienzi". Für die Zeit danach kündigt Gustav Kuhn eine Ausweitung des Repertoires in Richtung Richard Strauss an - oder auch Leos Janacek und Bela Bartok?

Viel kann in Erl noch passieren, seit man in Hans-Peter Haselsteiner einen finanzkräftigen Festspielpräsidenten gefunden hat, mit dem auch die nächste scheinbare Utopie in greifbare Nähe gerückt ist: ein neues "Winterhaus" für Erl, damit für die Fans mehr geboten werden kann als "nur" die Sommerfestspiele.

Hör-Tipp
Apropos Oper, Donnerstag, 5. Juli 2007, 15:10 Uhr

Veranstaltungs-Tipp
Tiroler Festspiele Erl, 5. bis 28. Juli 2007
Ö1 Club-Mitglieder erhalten ermäßigten Eintritt (10 Prozent).

Link
Tiroler Festspiele Erl