In der Online-Welt entsteht eine neue Ordnung
Wir sind das Gesetz
Wer bei eBay und anderen Online-Auktionsplattformen kauft oder verkauft, begibt sich rechtlich auf komplexes Terrain. Trotzdem laufen die Geschäfte ab, wie einst der Kuhhandel am Dorfplatz: quasi mit Handschlag. Trotzdem gibt es kaum Schwierigkeiten.
8. April 2017, 21:58
Für den gebürtigen Österreicher Viktor Mayer-Schönberger, Professor für Informations-Infrastrukturpolitik an der Harvard University in den USA, ist die Situation auf Online-Auktionsplattformen symptomatisch. Er vertritt die These, dass das alte nationalstaatliche Recht den Herausforderungen des Internetzeitalters und der Globalisierung nicht mehr gewachsen sei. Es werde vielfach durch ein Recht ersetzt, das sich die Menschen selber schaffen.
Recht ist im objektiven Sinne dazu da, die sozialen Beziehungen einer Gemeinschaft zu ordnen. Damit können - zum Beispiel im Geschäftsleben - Konflikte vermieden oder gelöst werden. Die Geschäftspartner müssen nicht jedes Mal neu aushandeln, nach welchen Regeln sie vorgehen wollen, sondern verlassen sich auf die Regeln, die der Gesetzgeber beschlossen hat. Im Zeitalter des Internet würde das alte nationalstaatliche Recht jedoch von neuen Institutionen überlagert, beobachtet der Rechtswissenschaftler Viktor Mayer-Schönberger. Als Beispiel nennt er den Internet-Händler Amazon.
Mir wern kan Richter brauchen
Amazon liefert an Kunden in 200 Ländern, darunter auch Länder mit unklarer Rechtsordnung und fraglicher Rechtssicherheit. Der Handel funktioniert trotzdem großteils problemlos, weil der Geldtransfer über Kreditkartenfirmen läuft, die ihr Risiko durch eigene Regeln minimieren. Auch die Kunden kommen großteils ohne nationale Rechtsordnung aus und vertrauen darauf, dass Amazon die bezahlte Ware liefern wird, weil sie das auch bei früheren Bestellungen so erlebt haben.
Bei der Online-Auktionsplattform eBay gibt es nicht einmal diese Sicherheiten. Käufer und Verkäufer kennen einander üblicherweise nicht, sie kennen den Namen ihres Vertragspartners nicht und werden ihn wahrscheinlich auch nie zu Gesicht bekommen. Damit müsste Betrug Tür und Tor geöffnet sein, möchte man meinen. Doch eBay hat mehrere Mechanismen eingeführt, um das zu verhindern.
Der wichtigste Mechanismus ist das System der gegenseitigen Bewertung der Geschäftspartner, das sich gut bewährt hat und sogar zu weniger Konflikten führt, als die Verwendung von Kreditkarten - bei weit geringeren Kosten.
Bewährt hat sich auch die Vereinbarung mit dem Internet-Unternehmen Squaretrade.com, das für Konflikte beim Online-Handel eine kostengünstige und rasche Mediation über das Internet anbietet. Nach eigenen Angaben arbeitet Squaretrade mit 50.000 Online-Anbietern zusammen und hat seit seiner Gründung vor acht Jahren zwei Millionen Streitigkeiten in 120 Ländern erfolgreich beigelegt.
Politik hat nichts zu sagen
In der Online-Welt entsteht also eine neue Ordnung - abseits der politischen Gesetzgebung und der Gerichte. Viktor Mayer-Schönberger sieht diese Entwicklung auch als Zeichen dafür, dass die Politik in einer Legitimationskrise stecke. Die Menschen hätten nicht den Eindruck, dass die Politik bei den Entwicklungen rund um die Internet-Welt mitkomme, also würden sie auch keinen Grund sehen, die Ordnung der virtuellen sozialen Beziehungen durch die Politik regeln zu lassen.
Urheberrecht in der Krise
In einer Legitimationskrise steckt zusehends auch so manches Recht, vor allem, wenn es sich nicht an die Veränderungen im digitalen Zeitalter angepasst hat. Drastisch bemerkbar ist die Krise beim Urheberrecht, dessen Durchsetzung vor allem von Seiten der Unterhaltungsindustrie mit allen Mitteln betrieben wird und dadurch auf noch mehr Ablehnung stößt.
Kampagnen, Schauprozesse und drastische Strafen könnten das Urheberrecht in seiner jetzigen Form auf Dauer nicht retten, denn Recht, so Viktor Mayer-Schönberger, werde absurd, wenn sich die Mehrheit der Bevölkerung nicht mehr daran halte. In Kürze, so prophezeit der Rechtswissenschaftler, werden sich neue Strukturen und Geschäftsmodelle entwickeln und neue Lizenzmodelle - wie zum Beispiel Creative Commons - auf breiter Basis akzeptiert werden.
Hör-Tipp
Matrix, Sonntag, 8. Juli 2007, 22:30 Uhr
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Harvard University - Viktor Mayer-Schönberger
Viktor Mayer-Schönberger
Internet und Recht