Die Geschichte eines Jahrhundertschwindels

La grande Thérèse

Was derzeit in Österreich der BAWAG-Prozess ist, das war Ende des 19. Jahrhunderts der Prozess um die pathologisch-geniale Lügnerin Thérèse Humbert, die Toute Paris über 20 Jahre hindurch an der Nase herumgeführt hatte. Hilary Spurling hat den Fall recherchiert.

Ihre untersetzte, aber aufrechte und bereits zur Fülligkeit neigende stämmige Gestalt mit den üppigen Rundungen hatte fast etwas Königliches. Gerne trug sie überladene, kronenartige Hüte, auf denen sich künstliche Früchte und Vogelnester türmten oder Pfauenfedern wehten.

Die Rede ist von Madame Humbert, la grande Thérèse, Titelheldin eines höchst erstaunlichen historischen Tatsachenberichtes.

Hochstaplerin ab frühester Jugend

Thérèse Humbert wurde 1856 in Südwestfrankreich in der Nähe von Toulouse geboren. Das einfache Dorfmädchen tat sich schon sehr früh durch eine überbordende Fantasie hervor. In ihren Erzählungen beförderte sie ihren Vater zum Grafen, erklärte sich selbst zu einer reichen Erbin und verwandelte das bescheidene Haus der Familie in ein großartiges Chateau.

Selbst die größten Skeptiker ließen sich von ihrem sicheren Auftreten und ihrer offensichtlichen Harmlosigkeit umgarnen. (...) Man hätte ihr, wie man hierzulande sagt, die Kommunion gereicht, ohne ihr die Beichte abzunehmen.

Leben auf Pump

Thérèse Humbert hatte ein einfaches Lebensmotto: Was ich will, das bekomme ich auch. Ihren ausgeprägten Hang zum Luxus ermöglichte sie sich durch ein konsequentes Leben auf Pump. Bei den Schneidern, Schuhmachern und Modisten von Toulouse stand Thérèse schon als Teenager in der Kreide. Aus der Zahlungsunfähigkeit rettete sich die 17-Jährige, indem sie kurzerhand ihre Verlobung mit dem Sohn eines reichen Schiffseigners aus Bordeaux verkündete. Verlobung, Hochzeit und reicher Schwiegervater blieben allerdings im Reich der Phantasie.

Höchst real dagegen waren der Konkursverwalter, der Zwangsverkauf des Hauses der Familie und die Rückerstattung des niemals bezahlten Inventars an die rechtmäßigen Eigentümer. Thérèse und ihre Familie schlugen ihre Zelte in der Folge in armseligen Verhältnissen in Toulouse auf. Dort gelang der große strategische Coup: die Festigung der familiären Bande zum Onkel Gustave Humbert, einem Juristen mit politischen Ambitionen. Humberts 17-jähriger Sohn Frédéric war fasziniert von Thérèse.

Frédéric war nicht dumm, aber schüchtern: in jeder Hinsicht eine blassere, schwächere Ausgabe seines Vaters. Thérèse dagegen brillierte. Sie besaß einen Willen, der sich mit demjenigen ihres Onkels messen konnte, und die Entschlusskraft, das Beste daraus zu machen. Ihr ganzes Leben lang sollte sie für den schwächlichen, überanhänglichen Frédéric zum Bezugspunkt werden.

Luftschloss de Marcotte

Prachtvolle Hochzeitsfeierlichkeiten - naturgemäß auf Pump - folgten. Warum der prominente Politiker und kühle Taktiker Gustave Humbert eine junge Schnorrerin zu seiner Schwiegertochter machte? Die Antwort ist ein Luftschloss - das Chateau de Marcotte. Der gesellschaftliche Shooting-Star Gustave Humbert war überzeugt, sein Sohn hätte eine Erbin geangelt, deren Vermögen der Finanzierung seiner eigenen politischen Karriere durchaus zuträglich sein würde.

Senator Gustave Humbert wurde 1882 zum Justizminister ernannt. Da war es ihm ein Leichtes, ohne Formalitäten und Urkunden auf das - vermeintliche - Vermögen seiner Schwiegertochter große Darlehen aufzunehmen. Und es soll sogar Justizminister Humbert selbst gewesen sein, der Thérèses imaginärem Erblasser den Namen Crawford gab.

Nach Thérèses eigener Version war Crawford ein englischer Milord, der in dem Toulouser Mietshaus, in dem sie lebte, erkrankte. Ebenso wie ihre Mutter pflegte sie diesen flüchtigen Fremden an seinem Krankenbett, in der Rue de Taur, wo er schließlich starb - freilich nicht ohne zuvor ein Testament zugunsten seiner Fürsorgerin aufgesetzt zu haben. Dieses Testament war auf einem Marmorstein in der Wand von Crawfords Schlafzimmer eingraviert.

Die Seifenblase platzt

Wie nicht anders zu erwarten gab es auch eine Reihe von Zweiflern, die Thérèse und ihren Tross als Hochstapler entlarven wollten. Wie es La Grande Thérèse in zahlreichen theatralischen Inszenierungen und unter Zuhilfenahme der Gerichte gelang, die Kritiker hinters Licht zu führen, das zeichnet Hilary Spurling in ihrem zügig zu lesenden Buch anschaulich nach.

Spurling schildert Thérèse Humbert eigebettet in eine Gesellschaft, die ihre Unwahrheiten glauben wollte. Am Phänomen "Grande Thérèse", das in einem aufsehenerregenden Prozess wie eine Seifenblase platzte, hatten sie alle ihren Anteil: Idealisten, Freidenker und glühende Verfechter der republikanischen Ideale von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit.

Hör-Tipp
Kontext, jeden Freitag, 9:05 Uhr

Buch-Tipp
Hilary Spurling, "La grande Thérèse. Die Geschichte eines Jahrhundertschwindels", übersetzt von Matthias Wolf, Verlag Berenberg, ISBN 978-3937834177