Gedichte von Oswald von Wolkenstein
Und wenn ich nun noch länger schwieg'
Gerhard Ruiss ist Lyriker, Musiker und Geschäftsführer der IG Autorinnen und Autoren. Jetzt hat er sich Gedichte von Oswald von Wolkenstein "vorgenommen" und diese aus dem Mittelhochdeutschen ins Neuhochdeutsche übertragen.
8. April 2017, 21:58
Man kennt ihn als Lyriker, als Musiker, als streitbaren Interessensvertreter der IG Autorinnen und Autoren, deren Geschäftsführer er seit vielen Jahren ist: Gerhard Ruiss. Jetzt hat er sich mit spätmittelalterlicher Lyrik auseinandergesetzt und Gedichte von Oswald von Wolkenstein aus dem Mittelhochdeutschen ins Neudeutsche übertragen.
Anlass dazu war ein Lied Oswald von Wolkensteins, das für Ruiss "eine gewaltige Bildkraft" hatte, wie er sagt. Er fragte sich, "wie könnte das in unserem Sprachgebrauch klingen? Ist es überhaupt möglich, das zu transferieren, ohne dass allzu viel Substanz verlorengeht?", erzählt Ruiss Günter Kaindlstorfer in der Ö1 Sendung "Von Tag zu Tag". "Das Lied beschreibt ein Karnevalstreiben der besonderen Art. Das für mich so Berührende daran ist, dass hier der Protagonist von seiner Verletztheit singt, von seiner Liebesverletztheit, und zugleich von seiner neuen Geliebten, der Krücke". (siehe Audio)
Zu mehr befähigt
Oswald von Wolkenstein wurde 1377 in Südtirol geboren, er war ein Adeliger, ein Ritter, und damit allerdings ein Vertreter einer zu Ende gehenden Epoche. Das spiegelt sich auch in seinem Werk, in dem er noch klassische Traditionen des Minnesangs aufgreift und verwendet, aber doch in vielem schon neue Wege geht. Soweit bekannt, musste Wolkenstein ständig um sein Überleben kämpfen. "Er hat seinen Platz in der Welt gesucht und er hat ihn sozusagen mit allen Mitteln eines Menschen gesucht, der von der Ausbildung her zu mehr befähigt war", meint Ruiss. Wolkenstein ist in ganz Europa herumgereist und konnte nach eigener Aussage mindestens zehn Sprachen.
Minnelied in radikalisierter Form
Die Niederschriften von Wolkensteins Liedtexten "sind vielleicht als erste Bücher in der Geschichte in einem heutigen Verständnis 'Songbooks'", meint Ruiss, denn sie seien mit Notationen überliefert und die erste komplette Sammlung eines Autors, die er seiner Mit- und Nachwelt hinterlassen habe.
"Bei Oswald von Wolkenstein findet sich das Minnelied - so es sich überhaupt noch findet - in einer radikalisierten Form", meint Ruiss. "Er besingt nicht nur die hohe und niedere Minne, also die unerfüllte und die erfüllte Liebe, er besingt auch die Sexualität, er besingt auch die Liebe zu seiner Frau, das heißt er geht weit über das hinaus, was das Minnelied ausmacht. Das, glaube ich, ist einer der Gründe, warum man mit diesem Oswald von Wolkenstein immer sehr vorsichtig umgegangen ist, man hat nicht genau gewusst, ob er nicht doch vielleicht ein kleiner Schweinigl ist."
Was fasziniert Gerhard Ruiss an den Gedichten des mittelalterlichen Ritters und Minnesängers? "Diese Gedichte haben eine Wildheit oder Undiszipliniertheit, die man später nicht mehr findet. Man könnte ihn als Avantgardisten seiner Zeit bezeichnen."
Eine eigene Sprache entwickelt
Wolkenstein hat auf Frühneuhochdeutsch oder auf Mittelhochdeutsch geschrieben, das ist umstritten, denn Wolkenstein hat eine Individualsprache entwickelt, einerseits aus der Hochsprache der Dichtung bestehend und andererseits mit regionalen Elementen, Phrasen und Wendungen angereichert. Für die Übersetzungen musste sich Ruiss daher erst "einhören".
"Ich glaube, für ein allgemeines Publikum ist Wolkensteins Sprache relativ schwer verständlich", meint Ruiss. "Sie klingt sehr exotisch, geht eher in Richtung eines extremen Dialekts, aber man kann sich in diese Sprache einhören und nichts anderes habe ich gemacht."
Um Oswald von Wolkenstein und seiner Literatur gerecht zu werden, hat Ruiss bei seinen Übersetzungen darauf geachtet, "möglichst in der Form zu bleiben, im Rhythmus zu bleiben. Ich habe versucht, mich lautlich anzunähern, aber nicht um den Preis, dass dann der Inhalt verlorengeht. Das Entscheidende für mich war ja, möglichst viel von diesen Originalen in die Gegenwart zu retten und verständlich zu machen, also Äquivalente zu finden oder adäquate Bilder zu finden. Ich habe mich immer gefragt, was will mir dieser Oswald von Wolkenstein und anderen, die seine Lieder hören und lesen, sagen? Oder: Wieso hat Oswald von Wolkenstein dieses Gedicht geschrieben? Es muss einen Grund dafür geben."
Service
Oswald von Wolkenstein, "Und wenn ich nun noch länger schwieg'. Lieder. Nachdichtungen", neu übersetzt von Gerhard Ruiss, Folio Verlag