Ungelöste Rätsel
Lexikon des Unwissens
Das "Lexikon des Unwissens" umreißt von A wie Aal bis W wie Wasser die nach wie vor ungelösten Rätsel der Menschheit und der Welt. Wegen der kurzen Kapitel eignet es sich hervorragend als Reisebegleiter mit hohem Unterhaltungswert.
8. April 2017, 21:58
Ich weiß, dass ich nichts weiß. Das hat bekanntlich schon Sokrates für eine äußerst wichtige Erkenntnis gehalten. Die Ingeborg-Bachmann-Preisträgerin Kathrin Passig und der Astronom Aleks Scholz haben sich eine alles andere als leichte Aufgabe gestellt, denn die blinden Flecke der Wissenschaft zu umreißen, bedeutet zu wissen, dass man vieles nicht weiß. Noch eins drauflegen wollte wohl der ehemalige US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld, als er verkündete: "Es gibt Dinge, von denen wir nicht einmal wissen, dass wir sie nicht wissen."
Diese Erkenntnis Rumsfelds wurde, so Passig in der Einleitung des Lexikons, zu unrecht häufig belacht. Demnach ließe sich nun Unwissen in zwei Kategorien einteilen: Dinge, von denen wir wissen, dass wir sie nicht wissen, und Dinge von denen wir nicht wissen, dass wir sie nicht wissen. Im Lexikon des Unwissens ist natürlich nur Unwissen der ersten Kategorie zu finden.
Von Aal bis Wasser
Dem Aal folgen die Amerikaner und die Anästhesie. Und nach der dunklen Materie findet man das hübsche Wort "Einemsen". Einemsen ist eine abwegige Verhaltensweise von Tieren. Der Fachbegriff des Einemsens wurde 1935 vom deutschen Ornithologen Erwin Stresemann geprägt und beschreibt das Einreiben des Gefieders mit Ameisen, anderen Insekten, aber auch aromatischen Substanzen wie Mottenkugeln, rohen Zwiebeln, Seifenwasser, Apfelstücken, Essig, Zigaretten und Zitrusfrüchten. Igel, Eichhörnchen und Vögel wirken dabei auf den Beobachter geradezu ekstatisch und kippen mitunter um vor Freude.
Und wozu das Ganze? Die hin und wieder vorgebrachte Hypothese, Ameisensäure helfe Parasiten im Gefieder beziehungsweise im Stachelkleid oder Pelz in Schach zu halten, wurde 2004 von den Ökologinnen Hanah Revis und Deborah Waller widerlegt: Die Ameisensäurekonzentration in den Körpern der Ameisen genügt offenbar nicht, um das Wachstum von Bakterien und Pilzen zu hemmen. Bis auf Weiteres müssen wir also davon ausgehen, dass Tiere sich nur zum Spaß immer dann einemsen, wenn zufällig Biologen mit Kameras in der Nähe sind. Schon OK, die Tiere verstehen sicher auch nicht alles, worüber wir so vor Begeisterung umkippen.
Unerforschtes Gähnen
Danach widmen sich Passig und Scholz ganze acht Seiten lang der weiblichen Ejakulation. Das Unwissen über die Elementarteilchen breitet sich lediglich auf vier Seiten aus. Ob die Länge der Kapitel mit dem Grad des Unwissens über das jeweilige Gebiet korreliert, wird offen gelassen. Wahrscheinlich nicht, denn dem Gähnen sind ebenfalls vier Seiten gewidmet, und besonders viel weiß man nicht über das gelegentliche Mundaufsperren.
Um es gleich vorwegzunehmen: Gähnen ist nicht zwangsläufig auf Langeweile oder Müdigkeit zurückzuführen. Bei Olympischen Spielen kann man beobachten, dass Spitzensportler unmittelbar vor dem entscheidenden Wettkampf ausgiebig gähnen. Und das, obwohl es garantiert nicht langweilig ist, vor einem Millionenpublikum um die Wette zu laufen, so hört man jedenfalls. Einig sind sich alle Experten nur darin, dass Gähnen ansteckend ist. Warum das so ist und warum wir überhaupt gähnen, ist unbekannt.
Wie kommt das Leben auf die Erde?
Schlägt man das Lexikon des Unwissens auf Seite 124 auf, so findet man den Eintrag "Leben". Um die Sache nicht schwieriger zu machen, als sie schon ist, halten sich Kathrin Passig und Aleks Scholz an den Spezialfall "Leben auf der Erde". Aber auch dieser Spezialfall bringt mehr ungelöste Fragen zutage als Antworten. So sei unsere Existenz ein Beweis für die Asteroidentheorie - und gleichzeitig für jede andere Theorie.
Perfekte Reiselektüre
Das "Lexikon des Unwissens" ist ein wunderbarer Begleiter auf Reisen: Irgendwo aufgeschlagen, ein paar Seiten genossen, Buch wieder zugeschlagen. Das "Lexikon des Unwissens" kann auch als einfallsreiches Geschenk für fast jeden empfohlen werden. Fast jeden deshalb, weil diese Art von Lektüre nichts für Besserwisser ist. Obwohl man auch das nicht so stehen lassen kann: Wer über mehr Wissen verfügt, als die Autoren zum Zeitpunkt des Drucks, der wird dazu aufgerufen, ein E-Mail zu schicken. Kathrin Passig und Aleks Scholz haben also für alle Eventualitäten vorgesorgt.
Service
Kathrin Passig, Aleks Scholz, "Lexikon des Unwissens. Worauf es bisher keine Antwort gibt", Rowohlt Verlag