Philosophie des Weltbürgertums
Der Kosmopolit
Kwame Anthony Appiah lebt seit 20 Jahren in den USA, wo er an der Universität Princeton Philosophie unterrichtet. In seinem Buch, "Der Kosmopolit", beschreibt er eine philosophische Sicht, wie Menschen besser miteinander auskommen könnten.
8. April 2017, 21:58
Wenn man einen Kosmopoliten eher salopp als polyglotten Weltreisenden mit vielen Flugmeilen betrachtet, dann könnte man meinen, Kwame Anthony Appiah hat sein jüngstes Buch über sich selber geschrieben.
"Ich bin teils in Kumasi, einer Stadt in Ghana, und teils im Westen Englands aufgewachsen. Von dort stammt meine Mutter", erzählt er seinen familiären Hintergrund. "Die Hälfte meiner Kindheit verbrachte ich also in England und die andere in Ghana. Dazwischen gab es Reisen etwa nach Deutschland und in die Schweiz, um Deutsch und Französisch zu lernen. Und jetzt habe ich diese vielen Verwandten in allen Teilen der Welt: Ich habe einen norwegischen und einen nigerianischen Schwager. Meine jüngere Schwester hat einen Portugiesen, und meine Tante Grace einen Libanesen geheiratet. Mein Cousin Francis ist in Thailand, und meine Cousine Judith in Kenia verheiratet."
Parteilichkeit und Toleranz
Die Haltung des Weltbürgers ist von zwei Eigenschaften bestimmt. Kwame Anthony Appiah, der seit 20 Jahren in den USA lebt, wo er an der angesehenen Universität Princeton Philosophie unterrichtet, beschreibt zunächst die so genannte Universalität: "Selbstverständlich sorgt man sich mehr um seine eigenen Landsleute als um die Bürger anderer Länder. Man hat - wie Philosophen es ausdrücken - ein Recht auf Parteilichkeit. Doch das Recht darauf, dass einem die eigene Familie, die eigene Gemeinschaft, die eigenen religiösen Glaubensgenossen näher stehen, ist nicht gleichbedeutend damit, dass man die Interessen aller anderen Menschen ignoriert."
Das zweite unabdingbare Kennzeichen einer kosmopolitischen Haltung besteht in Toleranz.
Der Kosmopolit weiß: Die Menschen sind verschieden, und wir können aus diesen Unterschieden viel lernen. Da so viele menschliche Möglichkeiten es wert sind, erkundet zu werden, erwarten wir nicht und wünschen wir auch nicht, dass alle Menschen oder alle Gesellschaften sich in Richtung einer einzigen Lebensweise entwickeln.
Historische Wurzeln in der Antike
Die historischen Wurzeln des Weltbürgertums liegen in der griechischen Antike des vierten vorchristlichen Jahrhunderts. Damals lebte Diogenes von Sinope. "Er lehrte die Menschen, lokale Sitten und Gebräuche in Frage zu stellen und im Prinzip 'globaler' zu denken", so Appiah, "denn die Art und Weise, wie wir etwas tun, ist nicht immer die einzig mögliche."
Diese Gedanken wurden von den römischen Stoikern wie Cicero und Seneca aufgegriffen und weitergesponnen. Kosmopolitanismus stand Pate als Immanuel Kant einen "Bund der Nationen" vorschlug und als Voltaire über die Pflicht schrieb, "jene Menschen zu verstehen, mit denen wir unseren Planeten teilen."
Ein internationales Miteinander
Den antiken Denkern, so der Autor, habe für wahres Weltbürgertum eines gefehlt: Das Wissen darum, wie groß die Welt tatsächlich ist und wer sie aller bevölkert. Doch nun, im 21. Jahrhundert, sei eine kosmopolitische Haltung der einzige Weg zu einem internationalen Miteinander. Denn es besteht nicht nur die theoretische Möglichkeit, das Leben anderer in anderen Ländern zu beeinflussen. Es passiert tagtäglich.
"Wir sind biologisch vernetzt. Jedes Jahr entsteht in China ein neues Virus, das in den USA Grippeerkrankungen auslöst. Uns wird zunehmend bewusster, dass unsere Handlungen weltweit Folgen für das Klima und die Umwelt haben", meint Appiah. "Von noch größerer Bedeutung ist die Vernetzung über Informationssysteme, die es in der Antike nicht gegeben hat. Meine Verwandten sind über die ganze Welt verstreut. Sie schicken mir E-Mails. Ich weiß innerhalb von Sekundenbruchteilen, worüber sie gerade nachdenken."
Zunehmende Polarisierung von Ost und West
Der Anstoß für Kwame Anthony Appiah, gerade jetzt ein Buch über Weltbürgertum zu schreiben, ist die seit den Terroranschlägen 2001 zunehmende Polarisierung zwischen der westlichen und der islamischen Welt: "Das ist ein Problem, weil es unser klares Denken beeinträchtigt. Es ist ein Problem, weil wir Menschen schlecht behandeln. Es ist ein Problem, weil es uns daran hindert, mit Moslems, mit denen es möglich wäre, Bündnisse einzugehen. Diese wären am besten in der Lage, etwas gegen jene Moslems zu unternehmen, die sowohl für uns auch für sie selber eine Bedrohung darstellen."
Die Werte anderer nicht zu tolerieren geht Hand in Hand damit, die eigenen als absolut darzustellen. Je mehr jemand sich in seinem Wertsystem angegriffen fühlt, so der Autor, umso mehr entwickelt er einen so genannten Imperialismus der Identität. "Wenn jemand sich nur auf eine Identität konzentriert, also etwa nur darauf, dass er Hindu ist, dann sieht er sich nicht etwa als Vater oder als Mitglied einer Berufsgruppe. Er vergisst, dass es viele andere Dinge gibt, die ihm auch viel bedeuten und die ihn mit Nicht-Hindus verbinden", so Appiah.
Gemeinsamkeiten entdecken
Weltbürgerum ist für den Autor kein Zustand, sondern ein Prozess. Er ist nicht nur durch Gesprächsbereitschaft, sondern durch aktive Suche nach Gesprächsmöglichkeiten bestimmt. So betrachtet seien die Vereinten Nationen eine wahre, kosmopolitische Einrichtung, sagt der Philosoph.
"Jedes Mal, wenn ich jemandem gegenüberstehe, der sich von mir deutlich abgrenzt, können wir andere Gemeinsamkeiten entdecken, wenn wir ein Gespräch zulassen", meint Appiah. "Und das können überraschende Dinge sein. In jedem Konflikt, wenn zwei Gesellschaften einander gegenüberstehen, gibt es etwa auf beiden Seiten Juristen. Diese unterscheiden sich in vielen Dingen, doch sie alle glauben an den Rechtsgrundsatz. Wenn man sich bemüht, findet man immer etwas Verbindendes. Und letztlich bleibt immer eines: die gemeinsame Menschlichkeit."
Hör-Tipp
Kontext, jeden Freitag, 9:05 Uhr
Buch-Tipp
Kwame Anthony Appiah, "Der Kosmopolit. Philosophie des Weltbürgertums", aus dem Englischen übersetzt von Michael Bischoff, C. H. Beck Verlag