Eine tschetschenische Frau irgendwo in Deutschland

Die Angst aber blieb

Wenn Krieg ausbricht, kann man nicht einfach so weitermachen wie bisher. Vor fünf Jahren erzählte eine tschetschenische Familie im Buch "Die Zeit der Wölfe" vom Krieg in Grosny und von der Flucht ins friedliche Deutschland. Wie leben sie jetzt?

"Vor unseren Verfolgern sind wir hier sicher, nicht aber vor unseren Erinnerungen. Der Krieg ist vorbei. Aber nichts ist vorüber." Mit diesen Sätzen beginnt die Erzählung jener tschetschenischen Frau, die unter dem Namen Subar auftritt. Die Journalistin Alexandra Cavelius hat das, was Subar und ihre drei Kinder berichtet haben - von ihrem Leben vor dem Krieg, von der Besetzung und Zerstörung Grosnys, von der Mühe des Überlebens, von Flucht und Aufatmen und relativem Frieden - im Buch "Die Zeit der Wölfe. Eine tschetschenische Familie erzählt" aufgeschrieben.

Seit der Veröffentlichung ist viel geschehen. Subar und ihre Kinder wurden in Deutschland als Flüchtlinge anerkannt: Sie durften bleiben, unerkannt und in relativer Sicherheit. Und dann wurde Ende Oktober 2002 das Moskauer Musical-Theater besetzt. Subar wurde für die Medien interessant. Man bat sie um ihre Meinung. Auf Wunsch der "Gesellschaft für bedrohte Völker" gab Subar einige Interviews, unter anderem auch im Fernsehsender n-tv. Man befragte sie ausführlich über ihre Erlebnisse in der alten Heimat. Über die Schikanen der Besatzer. Über die sogenannten Säuberungen. Und darüber, dass Subar in Notwehr drei russische Soldaten und einen maskierten tschetschenischen Milizionär erschossen hat - vier Soldaten, die immer wieder in ihre Wohnung eindrangen, um sie als deklarierte Anhängerin von Präsident Dudajew zu schikanieren und zu misshandeln.

"Terroristin" als Medienstar

Mehrere russische Sender übernahmen das Interview und ließen genau diese Sequenz immer wieder laufen, was ein ungeheures Medienecho zur Folge hatte. Endlich hatte man eine von "denen" gefunden, eine tschetschenische Terroristin. "Wenn jemand sich öffentlich rühmt, vier Leute erschossen zu haben, dann ist ja wohl alles klar", sagte der Sprecher der russischen Botschaft in Deutschland und forderte die Auslieferung der Terroristin an Russland. Subar "avancierte" sogar zum Gesprächsthema der Staatsoberhäupter: Schröder versprach seinem Freund Putin Mitte November in Oslo, dass sich die deutsche Justiz des Falls annehmen werde. Worauf die russischen Medien zufrieden berichteten: "Deutschland liefert die Terroristin aus." Aber da freuten sie sich zu früh.

Subars Fall wurde geprüft: Auf Anweisung des Bundesjustizministeriums wurde die zuständige Staatsanwaltschaft tätig. Denn auch die russischen Behörden waren aktiv. Sie hatten sofort nach dem Gipfel in Oslo ein Ersuchen auf Auslieferung gestellt und damit eine rechtliche Grundlage für ein Verfahren geschaffen. Als Begründung führten sie an, dass man seit nunmehr sieben Jahren den Tod dieser vier Kämpfer untersuchen würde und nun endlich durch das Geständnis dieser Frau den Fall abschließen könne.

Recht auf Blutrache

Subar war aber nicht aus Tschetschenien geflohen, weil sie des Mordes angeklagt wurde, sondern weil die Angehörigen des getöteten Milizionärs Blutrache forderten, und weil ihnen das Recht auf Blutrache von wahabitischen Richtern nach dem Gesetz der Scharia zugesprochen wurde. Was ganz gegen tschetschenischen Gepflogenheiten war. In Tschetschenien war es üblich, dass dann, wenn jemand getötet worden ist, die Ältestenräte der beiden betroffenen Sippen zusammen kamen. Sie untersuchten die Ursache des Todes und legten dann eine Strafe, normalerweise eine "unblutige", fest. Die ausländischen Richter aber lehnten diese Möglichkeit im Falle von Subar kategorisch ab. Ihr Spruch: "Wer getötet hat, muss sterben." Subar war somit zwischen die Fronten der Russen und Islamisten geraten.

Dieses Urteil, das sie in die Flucht getrieben hat, war für die deutschen Behörden ein Grund, Subar nicht auszuliefern. Ein weiterer Grund: Sie hat sich in Deutschland aktiv für die Unabhängigkeit Tschetscheniens eingesetzt und immer wieder bekannte tschetschenische Exilpolitiker beherbergt. Und ein letzter Grund: Man wartete auf die russischen Behörden, aber die dürften große Schwierigkeiten gehabt haben, die lange zurück liegenden Geschehnisse in Subars Wohnung so zu rekonstruieren, dass sie eine rechtliche Basis für eine Auslieferung liefern konnten. Wahrscheinlich waren in Russland mittlerweile doch dringendere Probleme zu lösen.

Absolutes Medienverbot

Im letzten Jahr erhielt Alexandra Cavelius einen Anruf von Subars Sohn: Seine Mutter war verhaftet worden. Sofort organisierte Alexandra Cavelius über die Gesellschaft für bedrohte Völker einen Anwalt, der erreichte, dass Subar freigelassen wurde. Die Bedingung: absolutes Medienverbot. Subar musste aus dem Bewusstsein der Öffentlichkeit verschwinden.

Mittlerweile hat sich die Lage beruhigt, das Auslieferungsverfahren wurde eingestellt - unsere Nachbarn haben eine andere Führung: Angela Merkel hat einfach eine andere Gesprächsbasis mit Vladimir Putin. Subar hat die letzte depressive Phase überwunden, wobei die Enkeltochter bestimmt viel beigetragen hat, und lebt mit ihrer Familie irgendwo in Deutschland im Verborgenen. Politisch äußert sie sich nicht mehr. Die Angst vor dem langen Arm Russlands ist vorbei. Vorläufig.

Buch-Tipp
Alexandra Cavelius, "Die Zeit der Wölfe. Eine tschetschenische Familie erzählt." Ullstein Berlin, ISBN 3-89834-049-X