"Nicht alles Walzer"
Die Sträuße - eine Firma?
Mit seiner Kapelle tourte schon Vater Strauß durch Europa. Die Söhne Johann, Josef und Eduard dehnten ihre Gastspiele bis Russland und Amerika aus. Johann fand schließlich in der Operette jene Kunstform, in der er sogar Offenbach übertreffen konnte.
8. April 2017, 21:58
In der Strauß-Literatur taucht regelmäßig der Begriff Dynastie auf, daran hat man sich schon gewöhnt, gelegentlich aber auch der Begriff Firma, und vereinzelt sogar - abfällig - das Wort von der Strauß-Maffia.
Das galt besonders für die Zeit als Johann, der Sohn, das Szepter eines Walzerkönigs vom gleichnamigen Vater übernehmen wollte, der versucht hat, gerade das zu verhindern.
Die Mutter stellte die Weichen
Für jeden seiner drei Söhne hatte Johann Strauß Vater von Anfang an einen anderen Lebensweg im Auge - nur keinen musikalischen. Schließlich hatte er schon genug damit zu tun, sich gegen die Konkurrenz Joseph Lanners zur Wehr zu setzen, und kein Verlangen danach, sich eine solche im eigenen Hause zu züchten.
Unkluger und Untreuerweise hat er dieses aber bald verlassen und danach stellte die Weichen für den Lebensweg der Söhne nicht mehr der Vater, sondern die Mutter. Und alle drei landeten letztlich bei der Tanzmusik.
Die Librettofabrik
Darüber hinaus schlug Johann Strauß Sohn in seiner zweiten Karrierephase noch einen anderen Weg ein, mit dem er den Tanzboden weit hinter sich ließ. Er eroberte, nachdem er in dem Autorenduo Zell und Genée adäquate Textdichter gefunden hatte, sogar das Musiktheater.
Als "Librettofabrik für die Musikfabrik" werden die beiden deutschen Textbuch-Lieferanten in der neuesten Biographie des Konkurrenten Suppé von Hans Dieter Rosers etikettiert, wobei man aber nicht vergessen darf, dass das Team Zell und Genée nicht nur für Strauß gearbeitet, sondern auch mehr als ein Buch für Suppé geliefert hat, auch den Text für den größten Erfolg "Boccaccio".
Konjunkturfaktor Tanzmusik
Noch vor der Jahrhundertmitte hatte sich Tanzmusik zu einem einträglichen Konjunkturfaktor entwickelt. Überall war so viel Bedarf, dass die Kapellen oft sogar geteilt werden mussten, damit ihr Leiter von Lokal zu Lokal fahren konnte, um an einem Abend an verschiedenen Orten aufzuspielen.
Strauß Sohn war ein Virtuose in dieser tanzkapellmeisterlichen Allgegenwart. Für den Vater gab es Konkurrenz zweier Generationen, zuerst Lanner, dann der eigene Sohn. Nur die nächste Generation, die drei Strauß-Söhne, machten nach dem Tod des Vaters gemeinsame Sache, gegen den Rest der Wiener Tanzkapellenkonkurrenz.
Der erste Popstar?
Manche seiner Biographen haben Johann Strauß-Sohn als ersten Popstar der Musikgeschichte bezeichnet. Sicherlich nicht zu unrecht, wenn man die weltweite Popularität von Anfang an berücksichtigt. Wohl hat schon sein Vater mit viel Erfolg unter anderem in Frankreich und England gastiert, doch obwohl sich der Sohn mit viel Elan zusätzlich der Operette gewidmet hat, fielen seine Konzertourneen weit flächendeckender aus, als die des Vaters und seiner Brüder - ob in Russland oder Amerika, ob in Paris, Berlin, London, Warschau, Italien, Rumänien, in der Walachei oder anderswo.
Seine Walzer und Polkas wurden auch musikalische Zugpferde der ersten russischen Eisenbahn in Pawlowsk. Weil man anfangs überzeugt war, das neumodische Schienenungeheuer würde ohne Zusatzveranstaltungen nicht genug Gewinn bringen, sandte die Zarskoje-Selo-Bahn ihre Vertreter im Jahr 1854 zu Johann Strauß. Schon davor hatte die Gungl-Kapelle mehrere Jahre dort gespielt, doch offenbar nicht mit genügend Erfolg.
Gastspiel von mehr als einem Jahrzehnt
Bei den Brüdern Strauß wurde schließlich ein Gastspiel von mehr als einem Jahrzehnt daraus. Und ein durchschlagskräftiges dazu. Der jüngere Bruder Josef profilierte sich während dieses russischen Kapitels der Strauß-Dynastie mehr und mehr als erstrangiger Komponist und Dirigent von Rang - nur den Erfolg des charmanten Jean bei den russischen Frauen - speziell bei einer gewissen Gräfin Olga - konnte er nicht übertreffen.
Josef Strauß, der auch Konstrukteur eine Straßenreinigungs-Maschine gewesen ist, hat für die brüderliche Musiziergemeinschaft mit Johann und Eduard, oder besser für die "Firma Strauß" eine vielversprechende technische Laufbahn aufgegeben hat, ist - häufig kränkelnd - schon mit 43 Jahren gestorben.
Der Wiener Walzer - transkontinental
Die Reise über den Atlantik - zwei Jahre nach dem Tod des Bruders - war Johanns nächster Schritt zur Weltberühmtheit. Die Eröffnung des Boston Festivals war eine Veranstaltung der Superlative. Man hatte Strauß ein Orchester von 2000 Mann versprochen, die Bühne war 165 Meter lang, es spielten nicht weniger als vierundachtzig Posaunen, und dazu eine eigens dafür gebaute Riesenorgel.
Nun, all diese Rekorde haben die amerikanischen Gastgeber nicht wirklich eingehalten, aber Teile davon immerhin. So hatten sich 800 Mann unter der Stabführung von Strauss vereinigt. Mehrere Subdirigenten mussten assistieren. Der Donauwalzer wurde zum Höhepunkt. Und einen eigenen Jubiläums-Walzer hat er dafür komponiert.
Mehr als einen Monat blieb das Ehepaar Strauß in Amerika - die amerikanische Presse schrieb Lobeshymnen, und interviewte das Ehepaar häufig und verteidigte das, damals noch unterschätzte Komponieren von Tanzmusik vehement.
Strauß' zweite Karriere
Nachdem die Erfolge in der Tanzmusik ihm und - und unterschiedlichen Ausmaß auch seinen Brüdern - Weltgeltung gebracht hatten, machte Strauß ganz ohne familiäre Assistenz eine zweite Karriere als Operettenkomponist. Daneben bestand die Strauß-Kapelle weiter - allerdings nur unter Eduards Leitung.
Eduard kostete Erbe aus
Ein eigenartiges Nachspiel hat die Erfolgsgeschichte der Strauß-Brüder. Johann starb im Jahr 1899 und er hat seinem jüngsten Bruder das Tanzmusikerbe hinterlassen - ganz im körperlichen Sinne ein riesiges Notenkonvolut.
Das hat Eduard Strauß, auch noch Jahre nach Johanns Tod durchaus legitim, bis zur Neige ausgekostet - einschließlich eines erfolgreichen Amerikagastspiels, viel größer dimensioniert, was die Reiseroute betrifft und länger dauernd als das Johanns im Jahrhundert davor.
Gesamtes Notenarchiv verbrannt
Aber dann, nach diesem geschäftlich befriedigenden Abschluss, als er endgültig Bilanz ziehen wollte, um sich zur Ruhe zu setzen, entschied er sich plötzlich zu einem Gewaltakt. Er verbrannte das gesamte Notenarchiv der Familie Strauß!
Und so wurde zunächst vieles verhindert: Dass sich ein unberechtigter Nachfolger bereichert ebenso, wie ein musikhistorischer Einblick in die Arbeitsweise der Strauß-Brüder. Nicht jedoch die gewaltige mediale Ausbeutung der musikalischen Substanz des Strauss'schen Oeuvres, von deren Dimension sich Eduard wohl nichts hätte träumen lassen: Die präzise Rekonstruktion des Notentextes der Urfassungen in historisch-kritischen Ausgaben. Eine CD- Gesamtedition sämtlicher Werke beider Johanns und Josefs. Und - last but not least: Die Millioneneinschaltzahlen der Live-Übertragungen von Neujahrskonzerten.
Auch wenn dennoch ein ungeklärter Rest - was die gewaltige schöpferische Leitungskraft betrifft - bleibt: Das kann uns das Vergnügen an der unendlichen melodischen Fülle dieser Musik nicht trüben, weil das wahre Wesen eines Genies von solcher Schaffenskraft uns sowieso verschlossen bleiben muss.