Philosophische Gedanken und praktische Tipps

Die Kunst, frei zu sein

Der Brite Tom Hodgkinson, Autor des Bestsellers "Anleitung zum Müßiggang", versammelt in seinem neuen Buch "Die Kunst, frei zu sein" philosophische Gedanken und Zitate berühmter Vordenker mit praktischen Tipps für den Alltag.

Vor drei Jahren wurde kaum ein anderes Buch so gerne augenzwinkernd weitergereicht, empfohlen oder verschenkt wie Tom Hodgkinsons "Anleitung zum Müßiggang". Für die einen war der Weltbestseller eine witzige essayistische Plauderei zum Thema Faulheit, für die anderen gar Vorlage zu einer Revolution, um die eigene Individualität in einer zunehmend menschenfeindlichen Arbeitswelt wieder zurück zu erlangen.

Der von enthusiastischen Jüngern kurzerhand zum Kultautor geadelte, heute 39-jährige Brite legt nun nach. Sein neues Thema: "Die Kunst, frei zu sein". Mit diesem "Handbuch für ein schönes Leben" verspricht der Experte für Genuss und Gelassenheit nicht weniger als das wahre Glück. Nach der bewährten Methode seiner "Anleitung zum Müßiggang" verbindet er erneut philosophische Gedanken und Zitate berühmter Vordenker mit praktischen Tipps für den Alltag.

Steck' dir deine Sorgen an den Hut

Mach dir Sorgen, mach dir Sorgen, mach dir Sorgen. Es ist eine gefährliche Welt da draußen, voll von verrückten, selbstmörderischen, Bomben werfenden Terroristen und Mördern und Dieben und Schurken und Naturkatastrophen. Bleib zu Hause! Sieh fern! Kauf dir Sachen im Internet!

Wirf alle Sorgen über Bord. Um Freiheit zu erlangen, gilt es Ballast abzuwerfen. Und warum nicht gleich mit der größten Bürde beginnen: der Angst. Das schreckliche Gefühl, dass alles schief gehen wird, verbunden mit dem chronischen Empfinden der Ohnmacht, ist für Tom Hodgkinson die Hauptursache für die Unfreiheit des Individuums in der modernen Welt. Das System profitiert durch Verbreitung von Angst, da furchtsame Menschen die besten Konsumenten sind. Regierungen und das "big business", so der Autor, lieben deshalb den Terrorismus, weil er gut fürs Geschäft ist. Angst treibt uns zurück in die Behaglichkeit des Konsums.

Angst als Objekt der Phantasie

Wie in George Orwells "1984" würde uns mittlerweile ständig klar gemacht, wir befänden uns im permanenten Kriegszustand. Auch die Angst vor Kriminalität wird bewusst geschürt. Sie befriedigt oberflächlich das Bedürfnis nach Schock und Horror, setzt sich aber unbewusst fest als ständig schwelende Furcht vor Verbrechen.

Der Angstanalytiker Brian Dean hat herausgefunden, dass sich das Ausmaß an Kriminalität in den letzten 150 Jahren kaum geändert hat. Die übermäßige Angst vor Verbrechen stehe daher in keinem Verhältnis zur Realität. Als Strategie gegen die Angst schlägt Hodgkinson Verzicht vor: Freunde statt Fernsehen, Bücher statt Zeitungen, fröhlich sein statt Karriere machen. Es gehe darum, sich weniger bis gar keine Sorgen zu machen.

Der Teufelskreis Langeweile

Doch der Weg zur Freiheit hat noch andere Hürden zu bieten. Die Langeweile etwa, laut zahlreichen Studien für viele Erwerbstätige der schlimmste Aspekt ihres Arbeitslebens. Erstmals erwähnt wurde das Wort Langeweile übrigens 1760, im selben Jahr in dem die Spinnmaschine erfunden wurde. Für den Autor kein Zufall. Die Arbeitsteilung und somit die Verwandlung von unabhängiger Tätigkeit in ermüdende, eintönige Sklavenarbeit sei schuld am Entstehen der Langeweile.

Heute ist der Alltag langweilig, die Politik, ja sogar die Kunst. Auch Langeweile sieht er als eine Form gesellschaftlicher Kontrolle. Man langweilt sich, um das Geld zu verdienen, um dann andere zu bezahlen, die Langeweile zu lindern. Extremsport wie etwa Bungeejumping muss hier als Paradebeispiel herhalten.

Tipps nur für Wohlhabende

Tipps und Tricks dieser "Diktatur der Ödnis" zu entgehen gibt es jede Menge. Die eigene Kreativität zu entdecken gilt als sicherer Weg aus der Krise. Ganz im Sinne der Punks reichen etwa drei Akkorde, um ein Lied zu schreiben. Während viele Vorschläge nichts anderes sind, als ein durchaus sympathischer Weg zurück zu einem einfachen Leben inmitten der konsumorientierten Überflussgesellschaft, sind manche schlichtweg entbehrlich.

Wenn Hodgkinson etwa nahe legt, auf die falschen Versprechungen einer Karriere zu verzichten und lieber "allein den eigenen Weg durch den Wald zu finden" und im weiteren damit prahlt, nur noch drei Stunden pro Tag bezahlter Arbeit als Herausgeber der Zeitschrift "The Idler" nachzugehen, kann man nur noch von Hohn sprechen. Gerne möchte man ihn dabei beobachten, wenn er etwa einem Hilfsarbeiter mit Migrationshintergrund oder einer alleinerziehenden Supermarktkassiererin allen Ernstes vorschlägt, auf Karriere oder sonst eine Art von sozialem Aufstieg zu verzichten, aufs Land zu ziehen, sich von selbst gesätem Gemüse zu ernähren, Daueraufträge zu stornieren und Uhren wegzuschmeißen.

Für die Mid- oder Endlifecrisis
Überhaupt sollte das Werk, wenn man es wirklich als strenges "Handbuch" verstehen will, mit dem Zusatz versehen werden: "für gelangweilte Wohlhabende in der Mid- oder Endlifecrisis". Vor allem die im Imperativ gehaltenen Gebote wie "Spiel Ukulele!", "Back Brot!", "Grab die Erde um!" oder "Nutze das Pferd!" gemahnen in ihrer Art den Heilsversprechungen von gruppendynamischen Batik-Kursen auf Zakynthos oder Urschrei-Seminaren in Bad Radkersburg.

Reise durch die Kulturgeschichte der Freiheit

Wenn man das 29 Kapitel umfassende Werk aber als kulturgeschichtliche Abhandlung zum Thema Freiheit liest, entfaltet es durchaus bestechende Qualität. Mit enzyklopädischem Wissen und prägnantem, mit knochentrockenem britischen Humor durchsetzten Stil durchforstet er auf der historischen und philosophischen Suche nach dem Glück spannende und überraschende Quellen von Anarchisten über Existenzialisten, von Hippies über Punks bis hin zu den großen mittelalterlichen Denkern.

Anschaulich erklärt Hodgkinson, dass der Kapitalismus keineswegs zu mehr Freiheit führt, sondern in seiner jetzigen Form in vielerlei Hinsicht unsere Freiheiten beschneidet. Seinem radikalen hedonistischen Lebensentwurf sollte man aber unbedingt mit großer Gelassenheit begegnen und prüfen, ob er wirklich mit den persönlichen Parametern vereinbar ist. Schließlich kommt auch der Autor selbst zur Einsicht, dass nicht alles Negative durch Positives ersetzt werden muss. Oft funktioniert auch eine Art Parallel-Strategie.

Als junger Mann hatte ich kein Verständnis für die Gärtnerei, da ich mich nur für das Trinken interessierte. Heute jedoch begreife ich, dass all jene Damen und Herren mittleren und höheren Alters in ihrem Garten eine Menge Spaß hatten, während ich sie nur für langweilig hielt. Mein Leben hat sich enorm verbessert, denn nun bin ich an der Gärtnerei und am Trinken interessiert: zwei Freuden statt früher nur einer.

Hör-Tipp
Ex libris, jeden Sonntag, 18:15 Uhr

Buch-Tipp
Tom Hodgkinson, "Die Kunst, frei zu sein", aus dem Englischen von Bernd Rullkötter, Rogner & Bernhard Verlag, ISBN 978-3807710259