Von Weggegangenen und Zuhausegebliebenen

Eldorado Europa

Wenn es einer aus einem afrikanischen Dorf geschafft hat, nach Europa zu kommen, gilt er bereits als erfolgreich. Seine Familie steigt immens im Ansehen und der Kreditwürdigkeit und erwartet, am Erfolg in Form von Geld und Geschenken teilzuhaben.

Einer, der in Europa arbeitet, hat seinen Erfolg zu beweisen: indem er seinen Leuten Geld schickt, oder bei seinen Besuchen mit Geschenken und Geld um sich wirft. Und wenn er wieder zurückkehrt zu seiner Familie, dann hat er ganz selbstverständlich den Status der Familie auf dem hohen Niveau zu halten, das sie während seiner Abwesenheit und auf Grund seiner Abwesenheit erreicht hat.

Der Mann aus Barbès ist der einzige auf der senegalesischen Insel, der es geschafft hat. Seine Geschichte erzählt Fatou Diome in ihrem autobiografischen Roman "Der Bauch des Ozeans" ganz nebenbei.

Veränderter Blickwinkel
Dasselbe Motiv trifft man auch in "Ketala", im zweiten Roman von Fatou Diome wieder. Diesmal ist es eine Frau, die ihr Glück in Frankreich zu finden hofft, an der Seite ihres Ehemannes. Unglücklicherweise ist dieser Mann homosexuell, und so ist Memorias Glück von allem Anfang an zum Scheitern verurteilt.

Es kommt, wie es kommen muss: sie wirft ihn hinaus und verdient ihr Geld als Edelnutte - der Löwenanteil wird nach Hause überwiesen. Dann kommt Aids, dann das gesellschaftliche Aus, das Aufgeben, das Nachhausekommen, die Einsamkeit des Sterbens. So besehen wäre es ein ganz furchtbar trauriger Roman, hätte Fatou Diome nicht die wunderbare Idee gehabt, die Dinge, die zu Memoira gehört haben, zu beleben und sie erzählen zu lassen. Wo hat man schon einmal von der Angst eines Kopfkissens vor einem Gewitter gelesen?

Musikliebhaber könnten sich an die wunderbare Kinderoper "L'Enfant et les Sortilèges - das Kind und der Zauberspuk" erinnert fühlen, das Colette erdacht und Maurice Ravel vertont hat. Dort werden auch Dinge lebendig, zum Beispiel beschwert sich eine Wedgewood-Kanne über das ungestüme Kind.

Dass sich Fatou Diome in der abendländischen Kultur zuhause fühlt, ist für sie selbstverständlich - immerhin lebt sie seit dem Beginn der neunziger Jahre in Frankreich und hat nicht erst in Straßburg zu studieren begonnen. Dass sie deshalb "verwestlicht" wäre, weist sie weit von sich. Und das Erstaunen darüber - das ihr immer wieder begegnet- dass sie Proust oder Marivaux oder Schiller kennt und zitieren kann, hält sie für rassistisch.

Großthema: Fußball
So, wie sie in ihrem aktuellen Roman das Thema der Homosexualität von Afrikanern aufgreift, spielt in ihrem ersten Roman immer wieder das Thema Fußball mit, etwa in der Geschichte von Moussa, dem jungen Fußballer, der einen Platz in der Nationalmannschaft ausgeschlagen hat, um in Europa spielen zu dürfen. Der auf der Reservebank seines Vereins beharrlich ignoriert wird und dann aus dem Verein fliegt. Der einen Riesenberg Schulden abarbeiten muss, Geld, das ihm der Talentsucher angeblich vorgestreckt hat. Der es schließlich nach Hause schafft und als Versager der tiefsten Verachtung anheim fällt. Der schließlich im "bitteren Bauch" des Ozeans sein "weiches Lager" sucht in Anbetracht von tausenden afrikanischen Spielern (allein in Italien sollen es 2.500 sein), die in Europa um ihren Durchbruch kicken, keine unwahrscheinliche Biografie.

Biografische Parallelen
Zwanzig Jahre vor Fatou Diomes Roman erschien ein ebenfalls autobiografischer Roman einer ebenfalls aus Senegal stammenden Autorin: Ken Bugul erzählte in "Die Nacht des Baobab", wie sie nach Belgien aufbrach, um dort zu studieren, wie sie als Maskottchen der feinen Gesellschaft lebte, wie sie die Achtung vor sich selbst und ihrer Kultur verlor und schließlich keinen anderen Ausweg aus ihrer Misere sah als Selbstmord.

Die biografischen Ähnlichkeiten der beiden Autorinnen sind verblüffend. Beide sind als uneheliche Kinder in Schande aufgewachsen. Beide kämpften um ihr Recht auf Bildung, studierten in Europa und errangen eine hohe Stellung: Ken Bugul, die eigentlich Mariétou Biléoma Mbaye heißt, wurde nach ihrer Rückkehr ranghohe Beamtin im senegalesischen Sozialministerium, Fatou Diome ist Professorin an der Straßburger Uni und ein Star im französischen Literaturbetrieb.

Ihre beiden Romane könnten unterschiedlicher nicht sein: Zeugnis eines aus allen Bahnen geworfenen Lebens der ältere Roman, aktive Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen Anforderungen, die Europa und Afrika an seine Bewohner stellt, der jüngere. Beide verraten eine Menge über das Denken afrikanischer Frauen und über die Weiterentwicklung der Ideen und Grundsätze weiblichen Gedankenguts. Und in beiden finden wir Europäer genügend Tatsachen beschrieben, die uns die Schamesröte ins Gesicht treiben.

Unfair Play?

Nachtrag zum Thema Fußball: Dass eigentlich nichts in Ordnung ist in der Welt des "Glücksballs" ist offenbar traurige Tatsache - und demnächst wieder hochaktuell, wenn in Polen und der Ukraine die Stars des Fußballhimmels über den Rasen düsen. Möge doch nicht wahr sein, was man z. B. bei Jürgen Roth, einem der Mafia- und Aufdecker-Spezialisten in seinem neuesten Buch "Unfair Play" zum Thema FIFA lesen muss! Dass nämlich die Spitzenfunktionäre und diverse dubiose Geldgeber eine innige Geschäftsbeziehung eingegangen sind. Dass Spiele manipuliert werden – und zwar bis hinauf in die höchstrangigen Ligen. Das verbittert die Freude an einem gelungenen Spiel, an wunderbaren Kombinationen oder großartigen Toren. Und lässt wünschen... ja, was eigentlich? Eine saubere Europameisterschaft, falls möglich...

Service

Fatou Diome, "Ketala", Diogenes

Fatou Diome, "Der Bauch des Ozeans", Diogenes

Ken Bugul, "Die Nacht des Baobab", Unionsverlag

Jürgen Roth, "Unfair Play. Wie korrupte Manager, skrupellose Funktionäre und Zocker den Sport beherrschen", Eichborn