Wie ein Berg plötzlich zerfällt
Der Eiger und die Medien
Im Sommer 2006 ging die Meldung weltweit durch die Medien: "Der Eiger zerbröselt" - so oder ähnlich lauteten die Schlagzeilen. Das Schweizer Eiger-Gebirge sei dabei, sich dank des Klimawandels, in einen besseren Schutthaufen zu verwandeln.
8. April 2017, 21:58
Der Geologe Hans Rudolf Keusen über den Eiger
Im Sommer 2006 ging die Meldung weltweit durch die Medien: Das Schweizer Eiger-Gebirge sei dabei, sich aufzulösen. Es verwandle sich dank des Klimawandels, in einen besseren Schutthaufen.
Um die Nervosität zu begreifen, muss man die Bedeutung des Eigers kennen: Das Gebirge ist zwar nicht das allerhöchste im Land der Eidgenossen, aber doch ein sehr hohes. Und: Neben dem Matterhorn ist es das berühmteste. Steil, oft senkrecht ragt der Gebirgsstock in den Himmel, bis zur Gipfelhöhe von 3.970 Metern. Der Eiger ist ein Landschafts-Wahrzeichen der Schweiz, vergleichbar fast mit dem amerikanischen Grand Canyon.
Legendär
Die Eiger-Nordwand mit ihren senkrechten 1.650 Metern Höhe. Sie handelte sich in den 1920er und 30er Jahren den Ruf einer "Mordwand" ein. Zu Dutzenden kamen Bergsteiger beim Versuch ihrer Durchquerung ums Leben, bis es im Juli 1938 dem Quartett aus Heinrich Harrer, Anderl Heckmair, Fritz Kasparek und Ludwig Vörg erstmals gelang, die letzte und größte bergsteigerische Herausforderung der Alpen zu meistern.
Und nun das: Das Gebirge würde in sich zusammen stürzen - berichteten nicht nur Boulevardblätter, sondern auch Medien, die gemeinhin als "seriös" gelten.
Etwas übertrieben
Alles etwas übertrieben - sagt der Schweizer Geologe Hans Rudolf Keusen, einer der weltweit bekanntesten Experten seines steinigen Fachs. Erst einmal geht es nur um ein Stück der Ostflanke. In ihrer Dimension sind die bröckelnden Teile, gemessen am Eiger insgesamt, ein "Klacks". Die Felsstürze sind natürlich schon beachtlich. Ihre weltweite Popularität verdanken sie aber auch einer großen Schützhütte gleich gegenüber, am Gegenhang des Bernegg, von wo aus recht bequem spektakuläre Fotos geschossen werden können.
Inzwischen hat sich das "Zerbröseln" auch aufgehört, und ist in ein langsames, kontinuierliches Absinken übergegangen, so der Schweizer Experte. Ein Team unter seiner Leitung umfriedete das Gebirge mit Batterien von hochsensiblen Laser-Messgeräten, die Tag und Nacht jeden Schnaufer des berühmten Bergs registrieren.
Falsche Vorstellungen von Permafrost
Hans Rudolf Keusen hat auch die Ursache des Vorgangs geklärt. Vom schmelzenden Permafrost infolge des Klimawandels war ja zu hören und zu lesen. "Permafrost": eines jener Vokabel, mit denen rasende Reporter gern ein Wissen vortäuschen, das sie nicht haben. Ihre "Theorie": Die ganzjährig gefrorene Mischung aus Fels und Wasser schmelze infolge der Erderwärmung auf, und wenn das Eis erst einmal verschwunden sei, bleibe nur poröses Gestein übrig, dass sich nicht mehr selbst tragen könne - daher auch die journalistische Idee, der Vorgang könnte den ganzen Eiger oder gar die Alpen insgesamt betreffen. Und schuld daran sei der Klimawandel.
Nein, sagt der geologische Experte, mit Permafrost hat das Ganze gar nichts zu tun. Das ist schon deshalb unsinnig, weil es in der fraglichen Seehöhe gar keinen Permafrost gibt. Das Eis schmilzt dort im Sommer ohnehin und immer schon.
Tatsächlich sind Spalten im Berg entstanden, eindringendes Wasser hat durch seinen Druck diese Spalten langsam vergrößert, die Felsformationen auseinander gedrückt. Die Kraft, die Wassersäulen in Felsspalten ausüben können, unterschätzt der Laie: Sind sie einige 100 Meter hoch - das ist an einem Berg wie dem Eiger bald der Fall - wird der Druck enorm und kann tatsächlich massiven Fels beschädigen.
Klimawandel nur auf indirekte Weise beteiligt
Die Sache hat schon auch mit dem Klimawandel zu tun, auf indirekte Weise: Der Grindelwaldgletscher, der am Fuß der sich lösenden Flanke träge dahin fließt, geht in den letzten Jahren zurück und verliert damit seine Stützfunktion. Das ist ein Mitgrund für das Absinken der Felsstruktur.
Zum Klimawandel insgesamt meint der Experte, dass man auch da die Dinge in ihren Relationen sehen muss. Ohne Frage ist eine Erwärmung zu konstatieren, gerade der Rückgang der Alpengletscher ist ein unübersehbarer Beweis. Allerdings geben die zurück weichenden Eisströme ganze Baumstämme in großer Zahl frei. Bedeutet: Dort wo heute das Eis gerade verschwindet, sind irgendwann schon einmal Wälder gestanden.
Nicht übertreiben
Tatsächlich weiß man aus diesen und anderen Indizien, dass es seit dem Ende der letzten Eiszeit um etwa 10.000 vor Christus phasenweise schon erheblich wärmer war als heute. So bauten die alten Römer in Südengland Wein an - was dank heutiger Kälte außerhalb von Glashäusern gänzlich unmöglich ist.
Tatsächlich kühlte es ab etwa 1.000 nach Christus merklich ab, mit einem Maximum des Vordringens der Gletscher um 1850, so Keusen. Seither weichen sie den steigenden Temperaturen wieder. Das bedeutet nun wieder nicht, dass man den Klimawandel ignorieren dürfe, sagt der nüchterne Schweizer Experte. Aber man sollte eben "die Kirche im Dorf" lassen.
Das mediale Trommelfeuer rund um Treibhauseffekt und Klimawandel scheint vielleicht ein wenig übertrieben - wie die Meldungen vom Eiger, den manche schon als niedlichen Schotterberg sehen wollten.
Hör-Tipp
Radiokolleg, Montag, 24. September bis Donnerstag, 27. September 2007, 9:05 Uhr