"Entscheidung gegen das Schweigen"

Die Stasi-Unterlagen-Beauftragte

Marianne Birthler, selbst einst Mitglied der DDR-Bürgerrechtsbewegung, leitet seit sieben Jahren jene Behörde, die die Unterlagen der Stasi aufarbeiten und betroffenen Bürgern zugänglich machen soll. Die Stasi hat auch in Österreich überwacht.

Die Stasi in Österreich

Am 15. Jänner 1990 stürmten hunderte Menschen die Zentrale des Ministeriums für Staatssicherheit in Berlin und erzwangen von der Regierung die Auflösung des "Amts für Nationale Sicherheit", der Nachfolgeorganisation des MfS.

Den Demonstranten, die einem Aufruf der Bürgerbewegung "Neues Forums" gefolgt waren, ging es darüber hinaus um die Sicherung der Stasi-Unterlagen, um Akten, aus denen hervorging, wie viele Agenten, Spitzel und Spioninnen, informelle Mitarbeiter und Schnüffler im Dienst der DDR-Staatssicherheit im Inland den Menschen fast 40 Jahre lang das Fürchten gelehrt hatten.

Aktenbestand wurde zugänglich gemacht

Die Volkskammer-Abgeordneten folgten den Wünschen der Bürgerrechtsbewegung und forderten die Bewahrung der Akten und deren Zugänglichkeit, um diese für eine politische, historische und juristische Aufarbeitung nutzbar machen zu können. Das erste gesamtdeutsche Parlament beschloss ein Gesetz, mit dem europäische Geschichte geschrieben wurde. Erstmals wurde der Aktenbestand eines Geheimdienstes einer Diktatur der Bevölkerung - jedem einzelnen Staatsbürger, der sich betroffen fühlte - zugänglich gemacht.

Marianne Birthler, selbst einst Mitglied der DDR-Bürgerrechtsbewegung, leitet seit sieben Jahren jene Behörde, die die Unterlagen des MfS aufarbeiten und betroffenen Bürgern zugänglich machen soll.

Michael Kerbler: Sie waren in der ehemaligen DDR Bürgerrechts-Aktivistin, Sie waren in der evangelischen Kirche engagiert. Haben Sie auch gewusst, dass auf Sie Stasi-Agenten angesetzt waren? Wann ist Ihnen bewusst geworden, dass Sie ein Objekt der Stasi geworden sind?
Marianne Birthler: Das Gefühl der Überwachung war allgegenwärtig. Wann ich begonnen habe, das auf mich zu beziehen, kann ich nicht sagen. Es gab immer so Phasen. Als ich ein junges Mädchen war, hatte das fast so einen Charakter von Abenteuerspiel. Im Freundeskreis war jemand, der eine vierzehnmonatige Haftstrafe hinter sich hatte, und das hat uns natürlich beschäftigt. Einige Jahre später haben wir zufällig im Wochenendhaus meines Schwiegervaters eine Wanze entdeckt. Man wurde immer wieder darauf gestoßen. Später, in den 1980er Jahren, als ich in Berlin war und intensiver politisch gearbeitet habe, war es zum Teil auch offensichtlich. Die Stasi hat ja auf verschiedenen Art gearbeitet - zum Teil versteckt und heimlich, zum Teil hat sie auch demonstrativ überwacht, um ein Gefühl von Unsicherheit und Überwachung zu erzeugen. Da konnte man sie dann natürlich auch erkennen.

Man ist Ihnen so offensichtlich nachgegangen, dass Sie gemerkt haben: Ich habe einen Schatten...
Ja. Diese Überwachung galt zum Teil mir persönlich, zum Teil auch den Gruppen, in denen ich mich bewegt habe oder Freunden, mit denen ich zusammen war. Das war nicht immer zu unterscheiden. Das war auch häufig ein Thema in Gesprächen, dass wir überwacht werden, dass wir wahrscheinlich in unseren Wohnungen auch abgehört werden.

Und was haben Sie dagegen gemacht?
Das fordert die Überlegung heraus: Lass ich mich jetzt einschüchtern, rede ich kontrolliert, achte ich immer darauf, was ich sage, oder versuche ich's nach Möglichkeit zu ignorieren. Wir haben das auch im Freundeskreis diskutiert. Wir haben uns ganz überwiegend dazu entschlossen, dies zu ignorieren. Das hatte einen bestimmten Grund. Uns war natürlich klar, dass eines der Hauptziele dieser Überwachung nicht nur war, Informationen über uns zu bekommen, sondern uns auch zu verunsichern. Uns war klar: Wenn wir unser Verhalten auf die Tatsache abstellen, dass wir überwacht werden, dann haben die schon die halbe Miete wieder drin. Das wollen die ja, dass wir bestimmte Dinge nicht mehr tun. Das bezieht sich jetzt natürlich nicht auf jeden Inhalt und jede Aktivität. Wir haben uns nach besten Kräften darum bemüht, so zu tun, als würden wir ein ganz normales Leben leben.

Vielleicht muss man an dieser Stelle noch erwähnen, dass ich von den späten 80er Jahren spreche. Das war eine ganz andere Situation als sie zum Beispiel in den 50er Jahren bestand. Natürlich riskierte man auch in den 80er Jahren, wenn man zur Opposition gehörte, Schikanen, Festnahmen, möglicherweise auch Haftstrafen, auch für die Familien war das zum Teil bedrückend, mein Kinder konnten kein Abitur machen in der DDR. Aber es bestand keine Gefahr für Leib und Leben. Das ist schon ein Unterschied zu den 50ern, zum Teil auch zu den 60er Jahren, wo Menschen wirklich um ihre Existenz fürchten mussten, wenn sie im Widerstand waren, wenn sie nicht angepasst waren. Das darf man, wenn man über Überwachungsmaßnahmen, über Repressionen spricht, nicht vergessen: zu sagen, über welche Zeit wir hier eigentlich sprechen.

Hör-Tipp
Im Gespräch, Donnerstag, 27. September 2007, 21:01 Uhr

Buch-Tipps
Anna Funder und Harald Riemann, "Stasiland", Fischer Verlag ISBN: 9783596167463

Katja Neller, "DDR-Nostalgie" VS Verlag für Sozialwissenschaften, ISBN 3531151185

Heidi Behrens und Andreas Wagner, "Deutsche Teilung, Repression und Alltagsleben - Erinnerungsorte der DDR-Geschichte", Forum Verlag, ISBN 9783931801311

Links
BStU - Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik
Stasimuseum Berlin - Die Zentrale des MfS
Stiftung Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen