Dauerthema in Österreich

Zukunft der Vergangenheitsbewältigung

Alexander und Margarete Mitscherlich analysierten das deutsche Kollektiv aus Nazi-Tätern und -Mitläufern mit psychoanalytischen Methoden. Mit fast 20-jähriger Verzögerung wurde Vergangenheitsbewältigung auch in Österreich zu einem Dauerthema.

1967 - also genau vor 40 Jahren - geht ein Aufschrei durch Deutschland. Der Grund: Die beiden Psychoanalytiker Alexander und Margarete Mitscherlich veröffentlichen das Buch "Die Unfähigkeit zu trauern." Das damals richtungsweisende Werk wurde bisher knapp 20 Mal neu aufgelegt und ist auch heute noch aktuell - in Österreich vor allem, wenn man die mangelnden Sensibilität im Umgang mit der nationalsozialistischen Vergangenheit bedenkt.

Immer wieder aufkommende rechtsextreme "Sager" werden - auch seitens politischer Vertreter - als Jugendsünde oder Kavaliersdelikt betrachtet. Aus politischem Kalkül wird um ewig Gestrige gebuhlt.

Trauer als Erinnerungsarbeit

In die "Die Unfähigkeit zu Trauern" analysieren Alexander und Margarete Mitscherlich das deutsche Kollektiv aus Tätern, Mitläufern und Duldern mit psychoanalytischen Methoden. Ihre Grundthese lautet: Die Unfähigkeit der Deutschen, um die Opfer der Nazi-Verbrechen zu trauern, verhindere eine Aufarbeitung der Vergangenheit.

"Trauer in unserem Sinn heißt Erinnerungsarbeit. Denn erst mit der Erkenntnis der subjektiven Verantwortung wächst auf Hoffnung an notwendigen Veränderungen bei sich und anderen teilzunehmen", glaubt Margarete Mitscherlich.

Gründe für Hitlers Aufstieg

Die Ursache für die starke Identifikation der Deutschen mit Hitler sehen die Autoren einerseits in dem durch Weltwirtschaftskrise und Ersten Weltkrieg bedrängten Selbstwertgefühl der Deutschen. Andererseits machen sie die in den 1930er Jahren stark verbreiteten narzisstischen Störungen für den Aufstieg Hitlers verantwortlich. Diese betrachten sie als Folge des autoritären und lieblosen deutschen Erziehungsmilieus, das deutschen Kindern verunmögliche, Selbstwertgefühl zu entwickeln.

"Hitler stellte den Kleinheitsängsten der Deutschen Abhilfe in Aussicht und das bedingte den Verfall gültiger Werte", schreiben die Autoren: "Der Führer verlangt nun geradezu, dass das alte Gewissen der neuen, faszinierenden Aufgabe geopfert wird - was wir in Anlehnung an den Geheimdienstjargon die "Umkehrung des Gewissens" nannten."

Kriegsende als Totalverlust der Ich-Ideale

1945 erleben die Deutschen das Kriegsende und den Untergang des Reiches als Totalverlust ihrer Ich-Ideale; und den Verlust des "Führers" als Verlust ihrer Selbst. Margarete Mitscherlich erinnert sich: "Aus dem Reich, das die ganze Welt beherrschen wollte, war ein besetztes, moralisch und materiell vernichtetes Land geworden. Wir waren nun die letzten in Europa."

Das deutsche Kollektiv vermag es, diese narzisstische Kränkung zu überwinden und sich vor Gefühlen wie Schuld, Scham und Trauer zu schützen, indem es die Erinnerung schlicht verweigert.

Externalisierung der Schuld

In Deutschland wie in Österreich ähneln sich die zahlreichen Mechanismen mit denen Erinnerung und Trauer unterdrückt werden zum Teil. Sie werden in "Die Unfähigkeit zu trauern" systematisch aufgelistet. Ein Beispiel ist die Externalisierung der Schuld. In Deutschland wird Hitler als Blender und Verführer die alleinige Schuld an den Grauen des Holocaust zugeschrieben. Und Österreich stilisiert sich zum ersten Opfer Nazi-Deutschlands.

Jahrzehntelang fühlt man sich in dieser Haltung durch die 1943 von den Alliierten formulierte Moskauer Deklaration bestätigt, sagt die Historikerin Heidemarie Uhl, Expertin für Gedächtniskultur an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften.

Aufrechnen der Opfer

Neben der Externalisierung der Schuld waren das Hervorheben des eigenen Leids und das Aufrechnen der Opfer weitere Mechanismen, die in den zwanzig Jahren nach Kriegsende und auch darüber hinaus gerne bedient wurden, heißt es in "Die Unfähigkeit zu trauern":

So wird etwa am Jahrestag schwerer Bombardements auf deutsche Städte zur Erinnerung an die Toten unsere Flagge auf Halbmast gehisst. Aber es bleibt dennoch eine sehr einseitige Erinnerung, denn bisher ist es nicht dazu gekommen, einen dem Bombardements auf Dresden oder Frankfurt vergleichbaren Gedenktag für die Opfer der Konzentrationslager, für die holländischen, polnischen oder russischen Opfer der Gestapo und Sonderkommandos festzulegen und zu begehen.

Die richtungsweisende Arbeit von Aleksander und Margarete Mitscherlich bezieht sich auf die westdeutsche Situation: "Der Bevölkerung der DDR wurde von der neuen sozialistischen Ideologie sogleich die Absolution erteilt, wenn man die neue Ideologie annahm", so Margaret Mitscherlich.

Hör-Tipp
Dimensionen, Mittwoch, 3. Oktober 2007, 19:05 Uhr

Buch-Tipp
Alexander und Margarete Mitscherlich, "Die Unfähigkeit zu trauern. Grundlagen kollektiven Verhaltens", Piper Verlag

"Mythen der Nationen. 1945 - Arena der Erinnerungen", Hrsg. von Monika Flacke, Verlag Philipp von Zabern