"Das Leid unseres Landes in Worte fassen"

Das Haus an der Moschee

Die Erzählhaltung, die Kader Abdolah in "Das Haus an der Moschee" wählt, ist die des allwissenden Erzählers. Das ist eine sehr traditionelle Erzählform, die aber so, wie Abdolah sie einsetzt, überaus packend ist und einen fast magischen Sog entwickelt.

Wie schon der vorhergehende Roman, "Die geheime Schrift", spielt auch Kader Abdolahs "Das Haus an der Moschee" in Senedjan, einer kleinen, sehr traditionsverbundenen iranischen Stadt in den Bergen, die, so Abdolah, in vielem seiner Heimatstadt Arak ähnlich ist. Im Stadtzentrum liegt eine alte Moschee, die bedeutendste von Senedjan, und an deren Rückseite ein großes Haus. Seit Jahrhunderten wird dieses von einer Familie bewohnt, die eng mit der Moschee verbunden ist.

Heimliches Fernsehen

Die Erzählung beginnt Ende der 1960er Jahre. Hauptperson ist der Teppichhändler Agha Djan. Einer seiner beiden Cousins ist der Imam der Moschee, der andere der Muezzin. Agha Djan aber ist die von allen anerkannte Autorität, Verwalter der Moschee und Vorsteher des großen Basars der Stadt, ein gläubiger Moslem, der stets um Gerechtigkeit und Ausgleich bemüht ist, und der sich, wenn auch mit angemessener Vorsicht, durchaus offen für Neuerungen zeigt.

So etwa als ihn sein Neffe überredet, sich die erste Mondlandung im Fernsehen anzusehen. Das kann natürlich nur heimlich geschehen, denn Fernsehen ist Teufelszeug. Doch dann sitzt Agha Djan gemeinsam mit dem Imam, der sich ebenfalls überreden ließ, vor dem Bildschirm im versperrten Bibliothekszimmer, während vor der Tür die beiden neugierig-skurrilen Großmütter auch mit den angestrengtesten Blicken durch das Schlüsselloch nicht herausfinden können, was das seltsame silbrige Licht zu bedeuten habe, das aus dem Zimmer dringt. Es ist eine Szene, die typisch ist für die vielen berührenden Miniaturen, mit denen die Erzählung ausgeschmückt ist.

Machtübernahme der Ayatollahs

Die anfängliche Idylle allerdings wird nach und nach immer brüchiger und mündet schließlich in einer Katastrophe, denn die politische Entwicklung - der Sturz des Schah-Regimes, die Machtübernahme durch die Ayatollahs - hat auch Auswirkungen auf das Leben im Haus an der Moschee. Und Agha Djan kann nicht verhindern, dass seine Familie zerbricht, sich die einen zu glühenden Fundamentalisten entwickeln, während andere ermordet oder ins Exil gezwungen werden.

Es gehe ihm nicht darum, dem Leser mit seinen Geschichten Freude zu machen, betont Kader Abdolah. Für ihn, der sich während seines Physikstudiums an der Teheraner Universität einer linken Widerstandsbewegung angeschlossen hatte und als Redakteur einer Untergrundzeitung tätig war, geht es darum, die wahre Geschichte seines Landes zu erzählen - was sowohl unter dem Schah als auch unter den Ayatollahs verboten war.

Buntes Bild durch Seitenstränge

Die Erzählhaltung, die er in "Das Haus an der Moschee" wählt, ist die des allwissenden Erzählers. In durchwegs chronologischer Abfolge berichtet dieser von den Geschehnissen. Es ist dies eine sehr traditionelle Erzählform, die aber so, wie Abdolah sie einsetzt, überaus packend ist und einen fast magischen Sog entwickelt, denn der Autor greift merkbar auf die Tradition mündlichen orientalischen Geschichtenerzählens zurück, mit vielen Seitensträngen, die das Bild sehr bunt machen, mit geschickt eingebauten retardierenden Elementen, mit dem Zitieren von Gedichten und Koransuren und mit zahlreichen sehr plastischen Orts- und Stimmungsbeschreibungen, durch die das Erzählte atmosphärisch überaus dicht wird. Die anfängliche Behaglichkeit verwandelt sich allerdings im Laufe des Geschehens mehr und mehr in Beklemmung.

Die wohl ergreifendste Episode des Buches ist jene, in der beschrieben wird, wie Agha Djan mitten in der Nacht im Auto von Dorf zu Dorf fährt. Im Laderaum liegt die Leiche seines Sohnes, der von einem Revolutionsgericht - unter der Leitung seines zum wüsten Schergen gewordenen Schwagers und unter falschen Anschuldigungen - hingerichtet worden war. Agha Djan sucht einen Ort, an dem er den Sohn beerdigen kann, doch überall wird ihm dies verwehrt, auch Freunde und Bekannte verweigern ihm jede Hilfe. Mit derartigen Schilderungen illustriert Kader Abdolah die Mechanismen und die brutale Dynamik von Verhetzung und Radikalisierung.

Happy End

Die Geschichte schließt Ende der 1980er Jahre mit einem - relativen - Happy End: Die Terrorwelle ist zu Ende, ins Haus an der Moschee kehrt wieder Friede ein. Und eines Tages bekommt Agha Djan einen Brief von seinem längst tot geglaubten Neffen - von jenem, der ihn einst zum Fernsehen überredet hatte, der sich dann im Untergrund gegen Schah und Ayatollahs agierte, und der, wie Agha Djan durch den Brief erfährt, nun in den Niederlanden lebte und dort als Schriftsteller tätig sei, um, wie er schreibt, "das Leid unseres Landes in Worte zu fassen".

Durch diese sowohl für Agha Djan als auch für den Leser überraschende Wendung offenbart sich der Erzähler als fiktives Alter Ego des Autors und gleichzeitig als Person seiner eigenen Geschichte - eine Doppelung, die dem Roman zusätzlichen Reiz verleiht.

Mehr zu Kader Abdolah in oe1.ORF.at

"Das Buch der Woche" ist eine Aktion von Ö1 und Die Presse.

Hör-Tipps
Kulturjournal, Freitag, 5. Oktober 2007, 16:30 Uhr

Ex libris, Sonntag, 7. Oktober 2007, 18:15 Uhr

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Buch-Tipp
Kader Abdolah, "Das Haus an der Moschee", Claassen Verlag

Link
Claassen Verlag - Das Haus an der Moschee