Frederica von Stade in Erstaufführung
Dead Man Walking
Seit der Uraufführung in San Francisco im Jahr 2000 ist die Oper "Dead Man Walking" von Jake Heggie mit dem Libretto von Terence McNally vor allem in den USA mehrfach nachgespielt worden. Ö1 sendet die Produktion aus dem Theater an der Wien.
8. April 2017, 21:58
Am Anfang steht eine wahre Geschichte, und die, die sie erlebt hat, betreibt eine Website und stellt sich der Diskussion: Sister Helen Prejean, eine in Louisiana lebende Nonne. Jahrgang 1939, in behüteten Verhältnissen aufgewachsen, trat sie schon als junges Mädchen den Schwestern von St. Joseph of Medaille bei.
Die Entscheidung der Ordensleitung, sich zukünftig sozial zu engagieren, riss die rund 30-Jährige aus ihrem bis dahin kontemplativen Leben - und löste Abwehr aus: Plötzlich Sozialarbeit statt der Suche nach innerem Frieden und der "persönlichen Beziehung zu Gott", wie Sister Helen selbst es formuliert?
Beistand bei Hinrichtung anwesend
Mehr zufällig und ohne die Tragweite abschätzen zu können, ließ sie sich Mitte der 1980er Jahre auf einen Briefwechsel mit einem zum Tod verurteilten Mörder ein. Freundschaft entstand, Sister Helen wurde der geistliche Beistand des Todeskandidaten und war zuletzt bei seiner Hinrichtung anwesend.
Es sollte nicht der letzte derartige "Fall" bleiben, mit dem sie konfrontiert war. Ein einschneidendes Erlebnis, immer wieder. Sister Helen verarbeitete es in einem 1993 erschienenen Buch, das mit dem Satz "Dead Man Walking" den Ruf zum Titel hat, der dem Vernehmen nach in amerikanischen Gefängnissen zu hören ist, aus dem Mund von Wächtern und Insassen, wenn ein Todeskandidat den Weg zum Hinrichtungsraum antritt.
Für den Pulitzer-Preis nominiert
Über Wochen führte "Dead Man Walking" die Bestsellerliste der "New York Times" an, der Titel wurde für den Pulitzer-Preis nominiert: Pro und Kontra Todesstrafe, ein Thema mit Öffentlichkeitswirkung, von Sister Helen ganz aus dem persönlichen Erleben, der inneren Erschütterung, den Zweifeln an der Gültigkeit jeder "Theorie" angegangen. Hollywood wurde aufmerksam, Susan Sarandon als Hauptdarstellerin und ihr Ehemann Tim Robbins sicherten sich den Stoff, der sich am Weg vom Buch zum Film veränderte.
Mehrere Lebensgeschichten verschmolzen zu einer, aus der Hinrichtung auf dem elektrischen Stuhl machte Tim Robbins den Tod durch Giftinjektion - um möglichen Gegenargumenten die Spitze zu nehmen, es ginge primär um die Anwendung einer "humanen" Tötungstechnik. Die Szene des Films (er übernimmt den Titel des Buches), die Tim Robbins als dessen "Herz" bezeichnet, hat im Buch keine Vorlage: das Schuldeingeständnis des Verurteilten. Sister Helen sanktioniert diese Szene im Nachhinein: "Ich sah die Szene und weinte. Und weinte und weinte ... In gewisser Weise war es auch eine große Erleichterung für mich, diese Szene zu sehen. Denn sie zeigte den Moment von Erlösung und Verwandlung."
Erfolg für Opern-Neuling
Von André Previns "A Streetcar Named Desire" (letzte Spielzeit auch im Theater an der Wien zu erleben) bis zu John Harbisons "The Great Gatsby": Die zeitgenössische US-amerikanische Oper liebt Stoffe, die sich auf der Kinoleinwand bereits als breitenwirksam erwiesen haben. Trotzdem war Lotfi Mansouri, dem damaligen Intendanten der San Francisco Opera, die Brisanz des Unternehmens bewusst, als sich Komponist Jake Heggie und Textautor Terrence McNally, die er für ein erstes Opernprojekt zusammengebracht hatte, just für "Dead Man Walking" entschieden.
Jake Heggie: noch opernunerfahren, ein aufstrebender junger Komponist, der mit einer Reihe von Vokalkompositionen aber gezeigt hatte, dass er für Stimmen schreiben konnte. Terrence McNally: bühnenerfahren, Mitarbeiter am Musical "Kuss der Spinnenfrau", Schöpfer des Callas-Stücks "Master Class", rasch als "Skandalautor" rubriziert, sobald es ihm um schwule Themen ging - am heftigsten nach "Corpus Christi", McNallys Jesus-Drama in homosexueller Umdeutung.
Die Opernfigur Sister Helen
Beide lassen die Oper - im Gegensatz zum Film - mit dem Mord beginnen, den Joseph De Rocher an zwei Kindern begeht. Sie lassen die Mutter des Mörders auf die Eltern der toten Kinder prallen. Und jagen die Opernfigur Sister Helen durch Phasen heftigster Selbstzweifel: Wie geht das zusammen, die Tat verurteilen, dem Täter aber als "Kind Gottes" verzeihen?
Jake Heggie: "'Dead Man Walking' schien mir alles zu bieten, was eine Oper braucht - eine dramatische Geschichte, eine riesige emotionale Landschaft mit einer intimen Liebesgeschichte im Innersten. Es ist keine romantische Liebesgeschichte, sondern eine Geschichte darüber, wie Liebe unser Leben verwandelt und erlöst. Es gibt genügend Anlass für Gesang, für faszinierende Charaktere, die eine Entwicklung durchmachen, für Arien und Ensembles, eine zwingende Verbindung aus Musik und Theater."
Im Jahr 2000 hatte "Dead Man Walking" in San Francisco Premiere, unter anderem mit Frederica von Stade, die auch in der Wiener Erstaufführung mitwirkte und sich für ein ambitioniertes Projekt rund um das Thema "Todesstrafe" zur Verfügung stellte.
Hör-Tipp
Jake Heggie: "Dead Man Walking", Freitag, 5. Oktober 2007, 19:30 Uhr
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