Aus einer seltsamen Perspektive

Der Fall Vukovar und das UNO-Tribunal

Vukovar in Kroatien gilt als Symbol der Zerstörung, Tötung und Vertreibung in dem Krieg, der zum Zerfall des föderativen Staates Jugoslawien führte. Am 27. September wurden nun zwei der drei Angeklagten im Fall Vukovar in Den Haag verurteilt.

Die Stadt Vukovar in Kroatien ist zu einem Symbol für Zerstörung, Tötung und Vertreibung geworden: Im November 1991 wurden rund 400 Patienten, Mitarbeiter und Zivilpersonen aus dem Krankenhaus der kroatischen Stadt vertrieben und zu einem Bauernhof gebracht, wo sie erschossen wurden. Am 27. September 2007 wurden nun drei Angeklagte im Fall Vukovar vom UNO-Tribunal in Den Haag verurteilt.

In einer Veröffentlichung des Internationalen Kriegsverbrechertribunals für das ehemalige Jugoslawien (ICTY) heißt es: "Die drei Angeklagten Mile Mrksic, Miroslav Radic und Veselin Sljivancanin sind wegen ihrer angeblichen Beteiligung an Misshandlung und Exekution von 264 Kroaten und nichtserbische Personen, die am 20. November 1991 aus dem Krankenhaus in Vukovar von den serbischen Kräften mitgenommen wurden, angezeigt."

Nach fast zweijährigen Prozessen wurden Mile Mrksic zu 20 Jahren und Veselin Sljivancanin zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt. Miroslav Radic wurde frei gesprochen und befindet sich bereits auf freiem Fuß in Belgrad.

Summary of the Judgement

Schon das Lesen des zehnseitigen Textes der Urteil-Zusammenfassung, die auf der Website des Tribunals für die Medien ("Exclusively for the use of the media. Not an official document") nachzulesen ist, erzeugt ein äußerst unangenehmes Gefühl. Der trockene, sachliche Stil der "Rechtssprache", von Emotionen befreit und nur auf die Fakten konzentriert, scheint mehr ein Handbuch des Tötens als ein Dokument menschlicher Grausamkeiten zu sein.

Aus diesem Text kann man erfahren, wie viele Menschen aus dem Krankenhaus mitgenommen, wie viele von ihnen getötet und wie viele identifiziert wurden. Man erfährt, wo die Angeklagten an diesen Tagen waren, und die Höhe der jeweiligen Strafe für ihre Untaten beleuchtet ihre damalige Rolle und Verantwortung. Was man vermisst, ist die Verantwortung für die monatelange Belagerung der Stadt Vukovar, die danach in Schutt und Asche lag. Dass Tausende Menschen getötet wurden und die nichtserbischen Bewohner der Stadt fast zehn Jahre lang vertrieben waren - diese Rechtsfindung überlässt man anderen Institutionen.

Reaktionen aus Kroatien ...

In Kroatien haben diese Urteile zu starken Kommentaren geführt. Die Medien sind voll von Berichten aus Vukovar und anderen Städten Kroatiens, wo die Menschen über die Entscheidung des Tribunals ihre Enttäuschung äußern. Und der kroatische Prämier Ivo Sanader hat folgende scharfe Note an UNO-Generalsekretär Ban Ki Moon, den Gründer des Tribunals, gesandt: "Man muss die Arbeit des Gerichthofes in Den Haag unter die Lupe nehmen, besonders in dem Kontext seines Misserfolgs, der Gerechtigkeit zu dienen."

Die scharfe Kritik an der Arbeit des Gerichtshofes von allen politischen Parteien und ihren Spitzenrepräsentanten kann man nicht nur mit den bevorstehenden Parlamentwahlen in Kroatien erklären. Denn die Arbeit des Internationalen Kriegsverbrechenstribunals in Den Haag wurde schon seit seiner Gründung im Jahr 1993 von allen am Jugoslawien-Krieg beteiligten Länder mit Skepsis verfolgt. Von der internationalen Gemeinschaft gepriesen, wurde das Tribunal in jenen Staaten, wegen derer es eigentlich gegründet wurde, mit Misstrauen und Ablehnung betrachtet. Und es diente nicht zuletzt als politisches Spielzeug vieler Politiker. Seine Arbeit, zumindest in diesem aktuellen Fall, lässt viel Raum für tief begründete Unzufriedenheit.

... und aus Serbien

In Serbien dagegen, was zahlreiche Beobachter überrascht, sind die medialen Kommentare sehr zurückhaltend. Man beschränkt sich vor allem auf Berichte über das Ende des Verfahrens. Noch vor kurzem hätte ein solches Urteil eine Welle der Euphorie ausgelöst.

Man hätte sich über den rechtlichen Beweis gefreut, dass die Serben doch nicht schuld an den Leiden der ehemaligen Mitbürger sind. Es kann natürlich auch sein, dass der Kosovo und die Lösung seines Status den Serben derzeit mehr Kopfzerbrechen bereitet, als sich mit dem schon vergessenen Krieg zu beschäftigen. Und ihre politischen Kämpfe führen sie an anderen Orten.

Vukovar heute

Was Vukovar selbst betrifft, wird sich die Lage dort nach den jetzigen Demonstrationen und Kundgebungen wieder beruhigen. Die Menschen von Vukovar werden nach ihrer Enttäuschung über die Arbeit des UNO-Tribunals zu ihrer täglichen Routine zurückkehren. Aber ihr Leben dort ist alles andere als zufriedenstellend. Einst die reichste Region von Ex-Jugoslawien fristen die Region von Vukovar und die Stadt selbst eine verschlafene und vergessene Gegenwart. Die Arbeitslosenquote hier ist die höchste in Kroatien. Und das Zusammenleben der verbliebenen Serben und der zurückgekehrten Kroaten ist von potenziellen Konfliktausbrüchen geprägt.

Diesen Menschen bleiben nur die Hoffnung und der Besuch des 2002 errichteten Friedhofs, der für die gefallenen Verteidiger von Vukovar am Rande der Stadt erbaut wurde. Es scheint, als wüsste man nicht, wer und aus welchem Grund diese Menschen umgebracht hat. Und die Worte des ehemaligen UNO-Generalsekretärs Kofi Annan beim Besuch des Haager Tribunals 1997 sind nach dessen letzter Arbeit in Frage gestellt: "In der freien Welt muss die Regel des Gesetzes herrschen."

Buch-Tipps
Roy Gutman und David Rieff, "Kriegsverbrechen. Was jeder wissen sollte", Deutsche Verlags-Anstalt

Slavenka Drakulic, "Keiner war dabei: Kriegsverbrechen auf dem Balkan vor Gericht", Zsolnay Verlag

Link
UNO - International Criminal Tribunal for the former Yugoslavia