Beginn einer neuen Serie in oe1.ORF.at

Europa medial

Die European Broadcasting Union hat den 14. Oktober zum Radiotag der europäischen Kulturen erklärt. Anlass für eine Bestandsaufnahme mittel- und osteuropäischer Medienlandschaften, die sich zwischen Propaganda und Kommerz bewähren müssen.

Einem russischen Sprichwort zufolge ist ein freier Journalist ein arbeitsloser Journalist. In Kroatien erleiden Tageszeitungen bedrohlich hohe Auflageneinbußen: Grund ist die fortwährende Schlacht von Gratissensationsblättern der ausländischen Großkonzerne Styria und WAZ, die den Zeitungsmarkt überschwemmen.

Die polnischen Brüder Kaczynski dagegen forderten nicht nur staatskrisenhaft im Juli 2006 von der deutschen Regierung, die "taz" für ihre Satire "Schurken, die die Welt beherrschen wollen" zur Rechenschaft zu ziehen, in der sie einen von ihnen zu "Polens neuer Kartoffel" ernannte. Sie erschufen auch noch das Kuriosum eines "Beauftragten für das Polenbild im Ausland", der das negative Image der Brüder innerhalb der EU aufpolieren sollte.

Europa medial

Wie unabhängig sind derzeit die Medienlandschaften Ost- und Mitteleuropas? Was hat sich seit den Umwälzungen der 1990er Jahre getan? Wo gibt es Ansätze für kritischen Journalismus? Mit welchen neuen und alten Hindernissen sehen sich Journalisten konfrontiert?

Die Reihe "Europa medial" zeichnet ein Bild gegenwärtiger nationaler Landschaften wie transnationaler medialer Verflechtungen und fragt nach Entwicklungen und Perspektiven, die sich aus europäischen Mediennetzwerken ergeben.

Potemkinsche (Medien)Dörfer
Um sich der EU und ihren Institutionen anzunähern haben die meisten Regierungen Süd-, Ost- und Mitteleuropas inzwischen eine liberale Mediengesetzgebung angenommen. Gleichzeitig sind sie "Meister darin, Potemkinsche Dörfer zu bauen", urteilt das deutsche "Netzwerk Recherche": Die realen Spielregeln haben sich wenig verändert.

"Nach dem ungarischen Mediengesetz von1999 wird zwischen den Begriffen 'öffentlich-rechtliches' und 'staatliches' Medium kein Unterschied gemacht. Das führt zu einem jährlich wiederkehrenden Streit zwischen den großen Parteien über das nächstjährige Budget der effektiv staatlichen, doch als 'öffentlich-rechtlich' bezeichneten Medien" meint ein Journalist aus Ungarn.

Zwischen Propaganda und Kommerz
So titelte die im Juni vom "Netzwerk Recherche" herausgegebene Medienanalyse der Medien in Ost- und Mitteleuropa. Die Liberalisierung hat zu einem für Demokratisierungsprozesse gefährlichen Ausmaß an Medienkonzentration geführt, welche die Medienvielfalt wiederum bedrohend einschränkt.

Journalisten sehen sich mit einer neuen, kommerziellen Beeinflussung konfrontiert, bei der die Auflagenzahl meist oberstes Gebot ist. Dabei kommen vor allem ausländische Medienhäuser auf ihre Kosten: Unter den fünf reichweitenstärksten Medienkonzernen in Mittel- und Osteuropa befinden sich mit der "Bauer Verlagsgruppe", "Axel Springer", "Gruner und Jahr" und "Bertelsmann" gleich vier deutsche, so das Ergebnis einer Studie der Donau-Universität Krems. Auch die österreichische "Styria" ist, vor allem nach Kroatien und seit 2003 auch nach Slowenien, gen Osten expandiert.

Der "gute Einfluss" eines vom Westen importierten Qualitätsjournalismus stößt, wenn er nicht schon der Gewinnmaximierung zum Opfer fällt, schnell an seine Grenzen.

Ist Medienfreiheit Definitionssache?
"Selbst wenn Angela Merkel sich auf den Roten Platz stellen und nach Medienfreiheit rufen würde, wird sie in Russland derzeit niemand erhören, weil man Medienfreiheit hier völlig anders definiert," postulieren die Autoren des Medienberichtes.

Es mangelt am wichtigsten Fundament für kritischen Journalismus: einer nachfragenden Bevölkerung. Das Vertrauen in freie Medien und ihre Bedeutung für die Entwicklung eines Landes fehlt größtenteils.

Im Jahr 2004 sprachen sich laut Amnesty International rund 75 Prozent der Bevölkerung in Russland und knapp die Hälfte der Journalisten für die Wiedereinführung der Zensur aus. "Journalisten wie Anna Politkowskaja mussten nicht nur gegen den Staat kämpfen, sie mussten sich auch oft genug gegen das eigene Volk behaupten, das unabhängige Journalisten zunehmend als Nestbeschmutzer wahrnimmt und kritischen Journalismus gar nicht nachfragt," so die Autoren von Netzwerk Recherche.

Mehr zu Anna Politkowskaja in oe1.ORF.at

Europäisches Netzwerken
Transnationale Vernetzungen, oft via Internet, können hier einen wichtigen Beitrag leisten: Kritische Medien werden außerhalb der Landesgrenzen zur Kenntnis genommen. Eine solche Öffentlichkeit kann zumindest teilweise vor staatlichen Repressionen schützen. Wechselseitige Kenntnisnahme nationaler Diskussionen fördert die Weiterentwicklung und Reflexion der eigenen.

Und letztendlich kann auch das "alte Europa" wo Medienfreiheit zugunsten von Antiterrormaßnahmen zunehmend unter Druck gerät, wie es zuletzt die deutsche Debatte um die heimliche Durchsuchung von Computerfestplatten gezeigt hat, von den Entwicklungen des Ostens lernen: Medienfreiheit muss eingefordert und gelebt werden, sie erhält sich nicht von selbst.

Übersicht

  • Europa medial