Erziehungswissenschafter versus Bernhard Bueb
Pro und kontra Disziplin
Das Benehmen von Schülern außerhalb von Eliteinternaten ist oft nicht berühmt. Dagegen helfe laut Bernhard Bueb Disziplin. Gegen solch simple Rezepte verwahren sich nun bekannte Erziehungswissenschaftler in dem Buch "Missbrauch der Disziplin".
8. April 2017, 21:58
Ein schönes Beispiel, wie Diskussionen in der deutschsprachigen Öffentlichkeit zurzeit ablaufen, zeigt die aktuelle Debatte rund um die Frage, wie man Kinder heute erziehen soll. Die Analyse ist noch recht einfach und auf die können sich fast alle einigen. Sie lautet: Die Kinder sind auch nicht mehr das, was sie einmal waren. Am unteren Ende der sozialen Skala verwahrlosen sie, spielen mit Vorliebe Killer-Videospiele, lernen nichts und massakrieren dann und wann ihre Lehrer und Mitschüler. Am oberen Ende der sozialen Skala wiederum stehen Klavierunterricht, Chinesisch-Kurs und Kinderuniversität auf der Tagesordnung und wenn der Sohn sich nicht benimmt - anderen Gästen im Restaurant zum Beispiel ungeniert ins Essen fasst – dann bekommt er von der liebesblinden Mutter bloß ein hingehauchtes "Hieronymus, nein" zu hören. Man sieht: Es fehlt an der guten alten Disziplin. Das behauptet zumindest Bernhard Bueb.
In seiner Streitschrift "Lob der Disziplin" zieht Bernhard Bueb die Bilanz seines beruflichen Lebens. Aber nicht von den Geschichten seiner pädagogischen Siege wolle er erzählen, erklärt Bueb im Vorwort, sondern von der – wie er es nennt - "beschädigten deutschen Erziehungskultur". Wenn in deutschen Haushalten wieder kluge, brave Kinder herumtollen sollen, dann müssen sie zuerst einmal ordentlich abgerichtet werden. Wie Hunde müsse man Kinder dressieren, davon ist Bueb überzeugt.
Legitime Autoritäten
Buebs Lob der Disziplin geriet in Deutschland zu einem Bestseller und wahrscheinlich ist Buebs Grundthese, dass Kinder wieder mehr Disziplin lernen sollten, nicht grundfalsch. Und auch seine Abrechnung mit modernen Unterrichtsmethoden, in denen sich alles um Vereinbarung, guten Willen und alternative Lehrmodelle dreht, und die Lehrer nicht mehr Lehrer, sondern gute Freunde der Schüler sein wollen, hat wohl einen wahren Kern. Aber Bueb geht es um viel mehr als nur darum, die Erziehung zu reformieren. Er will gleich die ganze Gesellschaft verändern.
Wir müssen uns dazu durchringen, legitime Macht als Autorität anzuerkennen, die Macht Gottes, die Macht des Staates und die Macht der Erziehungsberechtigten. Wenn wir unsere Unschuld im Verhältnis zur Macht wieder gewonnen haben, werden wir auch unbefangen von Disziplin und Gehorsam sprechen können. Solche Unschuld gewinnen wir erst, wenn wir Macht nicht nur intellektuell als unverzichtbar anerkennen, sondern, wenn wir Macht emotional positiv besetzen können, was sich zum Beispiel darin äußern kann, dass man sich zur Freude an der Macht bekennt und niemanden wegen seiner Macht verdächtig ansieht.
Das Rad der Zeit zurückdrehen
Man kennt das von anderen deutschen Debatten. Egal, worum es sich dreht - um die Zukunft der Arbeit, die Stellung der Frau, oder den Wert der Familie - stets tritt jemand auf, der der Unübersichtlichkeit des Jetzt mit einem beherzten "Zurück in die Vergangenheit" entgegentritt. Meist begnügen sich die Autoren damit, die Uhr um 30 bis 50 Jahre zurückdrehen zu wollen.
Bueb aber geht noch weiter. Er will hinter die Aufklärung zurücktreten. "Hände falten, Goschen halten", so könnte man seine Überzeugung auf den Punkt bringen. Er träumt von der perfekten sozialen Maschine, in der alle gehorchen und mit Freude den Befehlen der Oberen folgen. Das ist eine Mischung aus "1984", "Brave New World" und "Matrix". Einen schlimmeren Albtraum kann man sich kaum vorstellen.
Kritische Antwort
Der große Erfolg von Buebs Streitschrift hat nun mehrere deutsche Wissenschafter dazu veranlasst, dem Traktat etwas entgegenzusetzen. Und - gleich vorweg - das Resultat ist auch nicht gerade berauschend. Das Problem ist nicht der Inhalt dieses Sammelbandes, denn die Professoren zeigen sehr genau die verschrobenen Denkansätze Buebs auf.
Hans Thiersch weist unter anderem darauf hin, dass Bueb personalisierend und moralisierend argumentiert und institutionelle und gesellschaftliche Konstellationen negiert. Micha Brumlik thematisiert die größte Schwäche von Buebs Auslassungen. Seine Forderung nach - wie Brumlik es nennt - "Reflexionsverzicht."
Bueb scheint überhaupt nicht zu verstehen, dass der von ihm angeblich geschätzte Rechtsstaat zum großen Teil darauf beruht, dass der mögliche Missbrauch von Macht einkalkuliert, institutionell möglichst verhindert und der tatsächliche Missbrauch geahndet wird.
Hochtrabender Stil
Auch die anderen Beiträge in diesem Sammelband klingen plausibel. Warum aber sind die Texte dieses Sammelbands dann doch nicht die adäquate Antwort auf Buebs Auslassungen? Das liegt zum einen am Stil der Beiträge, denn deutsche Professoren sind nun einmal deutsche Professoren und ein deutscher Professor ist nur dann ein guter Professor, wenn er kompliziert formuliert. Dieser Logik folgend muss Hans Thiersch ein außergewöhnlicher Professor sein, sonst würde er die Attraktivität von Buebs Buch wohl nicht so umschreiben.
Die "Großzügigkeit" im Detail geht einher mit Selbsteinwänden, die die Thesen in ihrer Rigidität zurückzunehmen scheinen. Sie umspielen die Botschaft gleichsam beschwichtigend und wirken so wie ceteris-paribus-Klauseln.
Überhebliche Entgegnung
Zweites Problem dieses Bandes: Die Arroganz der Schreibenden. Mehrere Beiträge werden damit eingeleitet, dass man es kaum glauben könne, dass irgendein dahergelaufener Lehrer ein Buch über Erziehung schreibt und das dann auch noch ein Erfolg wird, während man selbst seit 40 Jahren forscht und forscht und das niemanden interessiert. Am deutlichsten formuliert diese Geringschätzung der "Diplom-Erziehungswissenschaftler" Wolfgang Bergmann:
Zuerst habe ich gelacht. Das ist eine Untertreibung. Ich wäre vor Lachen beinahe aus dem Flugzeug gefallen. Lebensgefährlich, so etwas! Um es unmissverständlich zu formulieren. So viel Quatsch in einem kuriosen Verwaltungsjargon ist mir nicht mehr unter die Augen gekommen, seit ich als Neunjähriger Hedwig-Courths-Malers Romane heimlich aus Mutters Nachttischschublade stibitze.
Alles ist sehr kompliziert...
Und so ist die Diskussion rund um die Disziplin ein erschreckendes Beispiel, wie der öffentliche Diskurs sich ausschließlich um sich selbst dreht. Einer schreibt ein Buch - ein schlechtes zugegebenermaßen -, die anderen fühlen sich auf den Schlips getreten, ihre Autorität in Frage gestellt und sind eingeschnappt.
Leidtragende sind Leser und Eltern, denn beide sind nach der Lektüre dieser zwei Bücher so klug als wie zuvor. Das einzige, was sie gelernt haben: Alles ist sehr kompliziert, einfache Lösungen Schwachsinn und Professoren und Diplom-Erziehungswissenschaftler können einem auch nicht weiterhelfen. Aber das wusste man vorher ja auch schon.
Hör-Tipp
Kontext, jeden Freitag, 9:05 Uhr
Buch-Tipps
Bernhard Bueb, "Lob der Disziplin. Eine Streitschrift", List Verlag
Micha Brumlik (Hg.), "Vom Missbrauch der Disziplin. Die Antwort der Wissenschaft auf Bernhard Bueb", Beltz Verlag