Ritterroman als Hörbuch
Roman vom Weißen Ritter Tirant Lo Blanc
"Der Roman vom Weißen Ritter Tirant Lo Blanc", verfasst von Joanot Martorell in altkatalanischer Sprache, ist nach 500-jährigem Dornröschenschlaf zu neuem Leben erwacht. Nach der neuen Übersetzung ist jetzt auch ein turbulentes Hörspiel herausgekommen.
8. April 2017, 21:58
Die Erotik kommt nicht zu kurz.
Als Miguel de Cervantes mit seinem "Don Quijote" satirisch über schwülstige und überbordend phantastische Ritterromane herzog, nahm er ganz dezidiert ein Buch aus, das mehr als hundert Jahre zuvor in der altkatalanischen Sprache des Königreichs Valencia erschienen war: den "Roman vom Weißen Ritter Tirant Lo Blanc".
Der Pfarrer im "Don Quijote", der diesen Roman und drei weitere Folianten vor der Vernichtung beim Bibliotheksbrand rettet, spricht sogar vom "besten Buch der Welt" und nennt den Roman "einen Schatz der Zufriedenheit und eine Fundgrube des Zeitvertreibs". Besonders gefiel Cervantes die teilweise äußerst nüchterne Darstellung des ritterlichen Alltags, die in anderen, von Fabelwesen und Ungeheuern bevölkerten Büchern dieses Genres fehlt.
Ein abenteuerliches Leben
Verfasst wurde der "Tirant Lo Blanc" von dem valencianischen Autor Joanot Martorell, von dem nur wenige biografische Fakten bekannt sind: geboren 1413, gestorben 1468 an einem unbekannten Ort. Er scheint ein recht abenteuerliches Leben geführt zu haben. Zumindest zwei Mal wollte er sich duellieren, einmal reiste er zu diesem Zweck sogar nach England.
Ob er 1453 tatsächlich dem Aufruf des Königs von Aragon, Alfonso des V., zum Feldzug gegen die muslimischen Eroberer Konstantinopels folgen wollte, ist unklar. Fest steht, dass Martorell auf den Fall des oströmischen Reiches literarisch reagierte, indem er mit seinem "Weißen Ritter" eine Figur schuf, die wenigstens im Roman die Christenheit einigt, Konstantinopel befreit und für das Abendland alles wieder ins Lot bringt. Sein Tirant Lo Blanc, ein abenteuerlustiger Bretone, weist eine gewisse Ähnlichkeit mit der realen, historischen Persönlichkeit des Abenteurers Roger de Flor auf, der 1305 in Adrianopel von Byzantinern ermordet wurde.
Rückbesinnung auf die eigene Kultur
Martorell starb 22 Jahre vor der ersten Veröffentlichung seines Buches und dürfte dieses auch gar nicht selbst vollendet haben. Die Fertigstellung wird seinem literarischen Testamentsvollstrecker Martí Joan de Galba zugeschrieben. Auch ihm war es nicht vergönnt, das gedruckte Buch in Händen zu halten. Er starb fünf Monate vor der Publikation.
Dass dieser Roman heute nicht vergessen ist, liegt an der Renaixenca, einer im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert einsetzenden Bewegung zur Wiederbelebung der katalanischen Kultur. Künstler und Intellektuelle wandten sich mit ihren Aktivitäten gegen die kastilische Vorherrschaft und propagierten die Rückbesinnung auf die kulturelle und sprachliche Identität Kataloniens.
Erzählerische Raffinesse
Maßgeblich beigetragen zur internationalen Publizität des alten Romans hat der Peruaner Mario Vargas Llosa, der 1968 einen enthusiastischen "Fehdebrief zur Verfechtung der Ehre von Tirant Lo Blanc" verfasste, in dem er die Raffinesse der erzählerischen Konstruktion lobte und Martorell als Urahnen von Balzac, Flaubert, Tolstoj oder Joyce bezeichnete.
1984 machte die erste, in New York erschienene Übersetzung ins Englische das Buch zu einem Welterfolg. Fritz Vogelgsangs Übersetzung des ersten Teils ins Deutsche kam 1990 heraus. Das komplette, monumentale Werk mit 287 Kapiteln wurde heuer bei der Frankfurter Buchmesse präsentiert.
Sinnesfreudiges Mittelalter
In diesem Ritterroman geht es nicht nur martialisch zu, sondern auch deftig und erotisch zur Sache. Die von Tirant umworbene Prinzessin, deren Kammerzofen und selbst die (verheiratete!) Kaiserin erweisen sich als durchaus selbstbestimmte Frauenzimmer. Das Mittelalter war weitaus sinnenfreudiger, als wir uns das heute gemeinhin vorzustellen pflegen.
Dem trägt auch die turbulente Hörspielfassung von Radio Bremen Rechnung, die dieser Tage als Hörbuch herausgekommen ist. Eine besondere akustische Attraktion bieten die von dem Virtuosen Valentin Clastrier beigesteuerten Klänge der Drehleier.
Hör-Tipp
Hörbücher, Donnerstag, 1. November 2007, 18:15 Uhr
Mehr dazu in oe1.ORF.at
Hörbuch-Tipp
Joanot Martorell, "Der Roman vom Weißen Ritter Tirant Lo Blanc", Hörspielfassung von Radio Bremen, 2007, mit Stefan Wilkening, Astrid Meyerfeldt, Maik Solbach, Karina Plachetka und anderen, Der Audio Verlag, 2 CDs, Gesamtlaufzeit 157 Minuten