Rebellion in der Kulturszene
Paraguay
Kultur aus Südamerika boomt. Nur um Paraguay ist es nach dem Ende der Stroessner-Diktatur 1989 merkwürdig still geworden. Wir haben uns in Asunción umgesehen und dabei eine Gruppe zorniger junger Männer: eine Rockband namens Dokma.
8. April 2017, 21:58
In Lateinamerika boomt die Kunst- und Kulturszene, das Echo dieser quirligen Szene dringt beständig nach Europa. In Berlin lief bis Ende September eine Ausstellung zeitgenössischer Kunst aus Peru, Autoren aus Brasilien und Argentinien lasen, man zeigte kubanische Filme. In Wien konnte man im Herbst Lieder aus Uruguay hören sowie Fotografien aus Kolumbien sehen oder Gemälde aus Brasilien.
Um ein Land ist es auffällig still: Paraguay. Mit dem Ende der Stroessner-Diktatur 1989 verschwand auch der kleine Staat im Herzen Südamerikas vom Bildschirm der Nachrichten-Redaktionen. Selbst der Tod des Weltklasse-Romanciers Augusto Roa Bastos im Jahr 2005 wurde von den Medien verschlafen.
Wo Gefahr ist, wächst das Rettende auch
Doch junge Paraguayer beginnen sich gegen den Stillstand zu wehren, sie rebellieren, zum Beispiel eine Gruppe zorniger junger Männer: die Rockband namens Dokma.
Sieh die Wunden, die ich auf dem Weg erhielt, Wunden, die nicht heilen nach all dem, was in der Dämmerung geschah. In meinem müden Land, hinter meiner schlafenden Stirn. Hinter meiner müden Stirn, in meinem schlafenden Land.
Wir sind in Asunción, in einer merkwürdig ländlichen Hauptstadt, hektisch am Tag, tot in der Nacht. Asunción: Triste Kapitale an einem unberechenbaren, von den Geistern wilder Indios befahrenen Strom, dem Río Paraguay. Ein junger Mann deklamiert Verse:
Du bist allein, Bruder. Du läufst durch die Stadt, bis du dran bist. Grau ist dein Weg und rot verhangen dein Blick. Ein Wutanfall zerreißt dich, zerfetzt dir die Seele. Dein Schatten vermischt sich mit dem vergossenen Blut. Mit all dem vergossenen Blut.
Rodrigo heißt der junge Mann, Rodrigo Pampliega. Eine Urgroßmutter ist Jugoslawin gewesen, die anderen Vorfahren waren spanischer Herkunft. Und Pampliega, sagt er, das komme von Pamplona in Spanien.
Klassische Garagenband
Wir befinden uns in einem Vorort von Asunción, in einer Bungalow-Siedlung nordamerikanischen Zuschnitts mit dicken Autos vor den Häusern, gepflegten Vorgärten und Alarmmeldern an den Fenstern. Wir sitzen im Gartenhäuschen von Rodrigos Eltern; sein Vater ist Bankmanager, die Mutter Mitbesitzern einer Farm. Rodrigo - ein schlanker Junge mit langen blonden Haaren - hat Psychologie studiert. In der Freizeit macht er mit drei Freunden Musik, hier, in dieser engen, mit Schaumgummi ausgekleideten Hütte.
Er heiße Jorge Antonio Salemme Sosa und sei arabischer Herkunft, erzählt einer. Sein Großvater kam während des Weltkriegs aus Syrien nach Paraguay, die Mutter aus Argentinien. Der Vater ist Inhaber einer Exportfirma: "Im Haus eines Cousins haben wir früher Black Sabbath gehört und Jimi Hendrix. Ich wollte auch so etwas spielen. Mein Vater war dagegen. Ich verkaufte meine Klamotten und das Fahrrad - für eine Gitarre. Da hat mein Vater mich verprügelt", erzählt der Musiker.
Nichts ist hier normal
Vier Jugendliche spielen in einer Rockband, junge Leute aus langweiligen, gut betuchten Familien. Nichts Besonderes - würden die vier nicht in Paraguay leben. In Paraguay wirkt Rockmusik noch subversiv. Sonderbares Land, mit einer langen Ahnengalerie skurriler Despoten. Der letzte - Alfredo Stroessner - regierte 35 Jahre lang. Es gab kein Lied, in dem Stroessner nicht erwähnt wurde. Es lief kein Stück, das nicht Propaganda für die Regierung gewesen wäre.
"Irgendwann hörte ich Leute auf der Straße sagen: Stroessner ist ein Diktator! Ich fragte meine Mutter: Stroessner ein Diktator - was meinen die damit? Meine Mutter erwiderte nur: Sag so was nie wieder, mein Sohn! Sag das nie wieder!", erinnert sich Jorge an die dunklen Zeiten Parguays.
In ihrer rebellischen Zeit, mit sechzehn, bekamen Jorge und Rodrigo Ärger mit der Kirche und ihren Dogmen, auch mit dem Staat. So viele Dinge durfte man nicht aussprechen. Darum gründeten sie diese Band: Dokma. Sie schreiben es mit "k".
Die Gitter in den Köpfen
Diktator Alfredo Stroessner wurde 1989 von einem Gefolgsmann gestürzt. Pistole in der Rechten, Granate in der Linken, so hat der General den Diktator aus dem Bunker gejagt. Das Land ist frei. Aber bis heute wirken die rigiden Moralvorschriften, und die Menschen äußern ihre Meinungen hinter vorgehaltener Hand. Die Gitter sind weg, doch in den Köpfen existieren sie immer noch.
Am Nachmittag ziehen die vier Jungs von Dokma in die Stadt. Schauen Sie, sagt Rodrigo, das ist Paraguay. Immer gibt es irgendeine Demo, eine Straßenschlacht, einen Putschversuch. Demokratie? Das hier ist unsere Demokratie. "Wir greifen die Leute an mit unserer Musik, aber nicht frontal. Wir pieken sie. Die Leute sind so apathisch. Aber wenn du sie belästigst, hören sie dir zu", sagt Rodrigo. In einem ihrer Lieder singt er:
Du kannst leben, sterben, töten. Du kannst lächeln oder weinen, kannst gewinnen und verlieren. Lachend schau ich dir zu, doch ich sage es dir nicht: Du trägst eine Maske vor dem Gesicht.
Zum Abschied sagt Rodrigo Pampliega: "Vor zehn Jahren habe ich noch gejammert: Oh je, was für ein Land, nur fort von hier! Aber jetzt? Ich werde hier bleiben, ich will hier spielen, wenn auch ohne großes Publikum. Weil ich merke: Dies ist unberührtes Land".
Hör-Tipp
Leporello, jeden Wochentag, 8:52 Uhr
Link
YouTube - Dokma