Aufruf zum passiven Widerstand

Walden und Umgebung

1845 baute Henry David Thoreau am Teich von Walden in der Nähe von Boston eine Blockhütte, in der er zwei Jahre hauste. Diese Zeit hat er im Buch "Walden oder Leben in den Wäldern" beschrieben, ein Schlüsseltext der amerikanischen Geistesgeschichte.

Schön war er nicht. Er war abweisend und nicht sehr eindrucksvoll. Sein Händedruck war feucht und indifferent. Sein Antlitz war nicht von Gedanken beflügelt. Es wirkte ernsthaft, aber eher dumm und angestrengt. Die Lippen nicht fest geschlossen, in den Mundwinkeln ein leichter Anflug von Zufriedenheit. Später ist uns klar geworden, dass er bereits damals seinen zukünftigen Gesichtsausdruck von großer Gesetztheit trainierte. Seine Nase stand prominent im Mittelpunkt, aber sie hing ohne Festigkeit nach vor über die Oberlippe und wir erinneren uns, dass er wie eine äyptische Skulptur aussah, schwebend, fixiert in einem mystischen Egotismus. Nur seine Augen schienen manchmal suchend, als ob er etwas verloren hätte. Es war der Blick eines Kindes der Natur, das dabei war deren Geheimnisse zu entdecken.

So der Bericht eines Schulkollegen. Einer von Thoreaus besten Freunden, der Schriftsteller Nathaniel Hawthorne, legte noch nach:

Er war hässlich wie die Sünde.

Ein weißer Indianer

Verheiratet war Thoreau nie. In Ermangelung von Frauenbeziehungen haben seine Biografen viel Mühe darauf verwendet, geheime erotische Beziehungen zu Damen im dritten Verwandtschaftsgrad zu konstruieren. Ihm wäre das wahrscheinlich egal gewesen. In Wirklichkeit war er ein weißer Indianer. Er konnte Spuren lesen, wo andere nur Büsche sahen, und Pfeilspitzen aus der Erde graben. Bei seinen Wanderungen war er am liebsten allein. Geschrieben hat er täglich, auch im Gehen. Says I to myself, das Ich an sich selbst, war das Motto seiner Tagebücher; zwei Millionen Wörter an die eigene Adresse.

Geboren wurde er am 12. Juli 1817 in Concord, Massachussets, seine Mutter soll eine aufopfernde Seele gewesen sein, der Vater ein Krämer, der mit seinem Laden Bankrott machte und der dann in Boston und anderswo sein Glück versuchte. 1823 kehrten die Thoreaus nach Concord zurückkehrte, der Vater wurde Bleistiftmacher, einer der vielen Berufe, die auch David Henry Thoreau dereinst ausüben sollte.

Thoreau war Bleistiftmacher, Zimmermann, Gärtner, Bauer, Schriftsteller und in seinem ersten Brotberuf ein Schulmeister, gleich nach dem Studium in Harvard, einen Job, den er nach wenigen Tagen wieder an den Nagel hängte. Das Schulkommittee hatte ihn zur Prügelstrafe verfplichten wollen.

Freundschaft mit Ralph Waldo Emerson

In den 30er Jahren des 19. Jahrhunderts lernte er einen Mann kennen, der zu sagen pflegte: "Das eine, was man gebildeten Leuten nicht verzeihen sollte, ist der Glaube an die Gedanken anderer." Der Mann war Ralph Waldo Emerson, Schriftsteller, Philosoph und als Prinzipal der Denkrichtung "Transzendentalismus" ein Star in den Clubs der Neuengland-Intelligenzija. Die brachte Emerson nach Concord mit, als er dort ein Haus erwarb.

Emerson wurde zum Nachbarn und Freund, Thoreau wohnte sogar bei ihm, machte Männerarbeiten im Hause jenes Denkers, der ihn beeinflussen sollte wie kein anderer. Thoreau, sagt ein Biograf, ist der einzige, der seinen Kopf genauso gut gebrauchen konnte wie seine Hände. In seiner Frühschrift "Nature" singt Emerson "das Hohelied der All-Seele des Menschen, der zu seiner eigentlichen Bestimmung zurückfinden sollte. Im göttlichen System der Natur. Der Mensch sollte die religiösen Wahrheiten in der Natur und nicht in der Kirche suchen.

Abenteuer Walden

1845 bis 1847 macht Thoreau mit der Theorie ernst und geht in die Wälder. In der Nähe von Concord baut er sich eine Hütte und findet im Walden-See seinen "Bettgenossen", wie er einmal schrieb, in "Walden oder Leben in den Wäldern", dem ersten Öko-Bestseller der Literaturgeschichte.

Das Abenteuer am Waldensee hat, darin sind sich alle einig, zur Entfremdung zwischen Thoreau und Emerson geführt. Letzter war ein Theoretiker und eine schöne Seele: Mit dem Hammer konnte er nicht umgehen und so praktisch war die Theorie auch gar nicht aufzufassen.

Ziviler Ungehorsam

Thoreau, sagt der Literaturwissenschaftler Brad Dean, ist die Quintessenz des amerikanischen Denkens. Er verkörpert den guten Amerikaner, der Autoritäten in Frage stellt, entsprungenen Sklaven hilft und Vorträge über die Rechte und Pflichten des Individuums gegenüber der Regierung hält.

1846 geht Thoreau für eine berühmte Nacht ins Gefängnis, er hatte sich geweigert, die Wahlsteuern zu bezahlen, weil er den Krieg gegen Mexiko als Versuch ansah, neue Sklavengebiete für die USA zu rekrutieren. Civil Disobedience. Ziviler Ungehorsam.

Ein wahrer Amerikaner

Amerikaner und Emerson-Schüler war Thoreau bis zum Schluss auch in seinem Beharren auf dem Vorrang des Individuums gegenüber jeder Form von Kooperation. In seinem Beharren auf das, was Vorbild Emerson - der schlechtere Dichter - Self Reliance genannt hatte, Selbstvertrauen, das Konzept, dass sich jedes Individuum primär auf seine ureigenen Ressourcen stützen solle.

1862 stirbt Thoreau im Alter von 44 Jahren. Tuberkulose. Emerson hält die Grabrede und sagt: Wenn es je einen wahren Amerikaner gab, war es Henry David Thoreau.

Hör-Tipp
Diagonal, Samstag, 10. November 2007, 17:05 Uhr

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Links
The Walden Woods Project
The Thoreau Institute

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