Neues Buch von Bruno Latour

Eine neue Soziologie für eine neue Gesellschaft

Wir brauchen eine neue Soziologie, sagt der französische Philosoph und Wissenschaftstheoretiker Bruno Latour: Als Gründe nennt er die ökologische Krise, die Rückkehr der Religion und die Globalisierung. Latour hat etablierten Grenzen eingerissen.

Kann die klassische Soziologie mit ihren Begriffen und Kategorien der globalisierten Welt des 21. Jahrhunderts gerecht werden? Für den französischen Philosophen und Wissenschaftstheoretiker Bruno Latour steht die Antwort außer Zweifel: Sie kann es nicht.

Die Soziologie als Wissenschaft von der Gesellschaft, von menschlichem Handeln und Zusammenleben ist im 19. Jahrhundert im Zeichen des Fortschrittsparadigmas entstanden. Nicht nur dieses Paradigma steht aber inzwischen in Frage. Die zentralen soziologischen Begriffe "Gesellschaft" und "sozial" sind nach Ansicht von Bruno Latour längst nicht mehr adäquat. Denn sie beruhen auf einer Trennung des Sozialen auf der einen Seite und der Natur und Technik auf der anderen.

Naturwissenschaft vs. Politik

Phänomene werden entweder der einen oder der anderen Sphäre zugeschrieben: Etwas ist entweder Natur/Technik und damit naturwissenschaftlicher Erkenntnis beziehungsweise technischer Auswertung zugänglich oder eben sozial und damit politisch verhandelbar. Das Anliegen von Bruno Latour besteht jedoch gerade darin, diesen Binarismus aufzuheben.

"In der Handlungstheorie, die man in der Mainstream-Soziologie zumeist verwendet, hat man entweder ein individuelles, autonomes Subjekt, das handelt, oder die Gesellschaft, die handelt. Aber das ist seltsam: Es gibt doch eine Unzahl von Vermittlern. Wenn man zu einer Handlung ansetzt, gibt es eine Unzahl von Wesen, die mitwirken", sagt Bruno Latour. Diese Wesen habe man im Rahmen der Anthropologie und Ethnologie zwar stets bei den so genannten Anderen beschrieben, aber nicht bei uns. "Mit einer besseren Soziologie könnte man das aber auch bei uns machen. Und dann rückt die Vermehrung der Wesen ins Zentrum der Aufmerksamkeit."

Was ist Gesellschaft?

Wenn Bruno Latour von Wesen spricht, dann versteht er darunter eine Vielzahl von materiellen und nicht-materiellen Dingen wie etwa Muscheln, Viren, Maschinen, Normen oder Leidenschaften. Gesellschaft ist für ihn mehr als bloß eine Gesamtheit menschlicher Wesen, eine Gesellschaft ist für Latour eine Vielzahl von Verbindungen zwischen menschlichen und nicht-menschlichen Wesen. Diese vielfältigen Verbindungen gelte es zu untersuchen, analysiert Bruno Latour in seinem Buch "Eine neue Soziologie für eine neue Gesellschaft. Einführung in die Akteur-Netzwerk-Theorie".

Was er unter der Assoziation ganz unterschiedlicher Wesen oder Akteure versteht, erklärt Bruno Latour gerne am Beispiel des Ozonlochs: Hier spiele ein Netzwerk aus FCKWs, Luftmassen, Industrieanlagen, Verbrauchern, Umweltschützern, Politikern und vielen anderen mehr zusammen. Hier könne man nicht mehr mit klaren Kategorien wie menschlichen Akteuren und bestimmten gesellschaftlichen oder natürlichen Rahmenbedingungen operieren. Vielmehr seien menschliches Handeln und die Wirkkräfte von Technik und Natur in komplexen Interaktionen miteinander verwoben.

Wie handeln nicht-menschliche Wesen?

Bruno Latour schreibt allen, die an diesen Interaktionen mitwirken - seien es menschliche oder nicht-menschliche Wesen -, eine gleich bedeutende Rolle zu. Statt Wesen oder Akteuren spricht er häufig auch von Aktanten, um das Nicht-Menschliche vieler Wesen zu betonen. An der Frage, welche Handlungskraft man nicht-menschlichen Wesen oder Dingen zuschreiben kann, haben sich heftige Kontroversen entzündet.

Gegen Latour wird häufig die Frage der Intentionalität ins Treffen geführt: Dinge - welcher Art auch immer - können zwar eine große Wirkung zeitigen, sie handeln aber nicht mit Absicht, wie dies Menschen tun. Verfechter der Akteur-Netzwerk-Theorie halten dem entgegen, dass man viel genauer untersuchen müsse, welche Rolle die Intentionalität des Menschen in unserer technisierten und globalisierten Welt eigentlich spiele.

Hör-Tipp
Dimensionen, Montag, 12. November 2007, 19:05 Uhr

Buch-Tipps
Bruno Latour, "Eine neue Soziologie für eine neue Gesellschaft. Einführung in die Akteur-Netzwerk-Theorie", aus dem Englischen von Gustav Roßler, Suhrkamp

Stephan Moebius, Lothar Peter (Hrsg.), "Französische Soziologie der Gegenwart", UTB

Link
Bruno Latour