Zwischen Markt und Mafia

Gott ist ein Leser

In Bulgarien gibt es mindestens drei verschiedene Arten von Journalisten: Die vor dem Umbruch, die während des Umbruchs, und die danach. Heute würden alle gern Qualitätsjournalismus machen. Wenn nur der Leser nicht so sensationsgierig wäre.

"Nach einer Welle der Kriminalität in den 1990ern hat der bulgarische Normalbürger heute sehr viel weniger Angst, zum Opfer von Verbrechen zu werden, denn sein Auto oder sein Besitz interessieren die Gangster, die sich professionalisiert haben, nicht länger", resümiert der Kulturanthropologe Ivaylo Ditchev die Entwicklungen seines Landes in den letzten 17 Jahren.

Opfer krimineller Anschläge sind heute eher Bulgariens Journalisten: Organisierte Kriminalität ist an die frühere Stelle der Staatsmacht getreten, wenn es darum geht, Journalisten an ihrer Arbeit zu hindern.

Immer noch gibt es kein Presserecht, das Besitzverhältnisse regeln und politisch motivierte Beteiligungen durchschaubar machen könnte. Journalistenvertretungen haben kaum Einfluss als politisches Gegengewicht. Das Berufsverständnis unter den Journalisten ist widersprüchlich - und Teil der politischen Veränderungen.

Journalismus: drei Selbstverständnisse

Wie bulgarische Journalisten zu ihrem Beruf stehen, unterscheidet sich je nach Generation beträchtlich, fand die Medienwissenschaftlerin Pavlina Krasteva in ihrer Studie zum Thema "Journalismus in Bulgarien 17 Jahre nach dem Systemwechsel" heraus.

Vom Typ des politisch konformen "ideologischen Erziehers" hin zum neuen "Wegweiser" während des Umbruchs: die heute 30-40-Jährigen haben die mediale Demokratisierung aktiv miterlebt und verstehen ihren Beruf kämpferischer und emotionaler als die jüngere Generation. Jenen "Vermittlern" mangelt es in Zeiten der Medienkonzentration und des Sensationsjournalismus oft an Hintergrundwissen für kritische Analysen, sie wollen vor allem schnell und exklusiv, aber neutral und nach westlichem Vorbild informieren.

Medienkonzentration
Die deutsche Mediengruppe WAZ löste mit ihrem Einstieg 1996 politische durch wirtschaftliche Interessen ab. Mit der Übernahme der beiden auflagenstärksten Tageszeitungen "24 Chassa" und "Trud" stiegen sie zum Meinungsmacher auf und brachten einen neuen, parteiunabhängigen Journalismus mit.

Die Schattenseite: junge, unausgebildete Leute werden zum Verfassen schneller, gutverkäuflicher Skandalmeldungen eingesetzt. Sie haben weder ein gutes, noch ein schlechtes, sondern gar kein Verhältnis zur Politik. Es gibt nur noch Boulevardmedien, die Bevölkerung wird zunehmend politikverdrossen.

Mittlerweile sind die ausländischen Medieninvestoren auf das deutsche Handelsblatt, sowie auf dem Fernsehmarkt die schwedische Modern Times Group Broadcasting und der australisch-amerikanische Rupert Murdoch, sowie der griechische TV Produzent Antenna Group angewachsen.

Österreich größter Wirtschaftsinvestor
Österreich ist Bulgariens größter ausländischer Wirtschaftsinvestor, momentan vor allem im Bankwesen und der Telekommunikation. Es folgt das österreichische Markt- und Meinungsforschungsinstitut GfK: Es plant Marktstudien in der bulgarischen Medienlandschaft. Diese ausländische Konkurrenz könnte auch die Monopolstellung einiger weniger bulgarischer Werbeagenturen und deren enger Verflechtung mit Medien und Meinungsforschungsinstituten ins Wanken bringen. Auch Bulgariens einzige Nachrichtenagentur TNS ist an diesen Seilschaften beteiligt und verliert dadurch an Glaubwürdigkeit.

Rundfunk und Fernsehen
Der Bulgarische Nationale Rundfunk (BN.R) und das Bulgarische Fernsehen (BN.T) sind seit 1996 öffentlich-rechtlich, de facto aber weiterhin vom Staatshaushalt finanziert und keinesfalls objektiv.

Die freie Journalistin Simone Böcker berichtet von einem Skandal, bei dem "eine Journalistin des BN.R dem Präsidenten eine unliebsame Frage auf seiner Reise in Rumänien gestellt hat. Die Chefin des BN.R forderte, sie solle sich entschuldigen: sie habe seinem Ansehen im Ausland geschadet! Das hat aber zu einer so großen Entrüstung geführt, dass es dazu nicht kam."

Seichte Magazine statt Qualitätspresse
"Wir haben einen Gott, das ist der Leser" sind viele Journalisten in Krastevas Studie überzeugt. Und der lese am liebsten "Hybridtabloide" statt Qualitätspresse, also eine in Bulgarien typische Mischung von Populärem und Seriösem. Die Presse müsse sich eben in einer wirtschaftlich schwierigen Zeit an ein politikmüdes Publikum wenden.

Braucht Bulgarien überhaupt eine Qualitätspresse? Das sei die Sicht des Westens, dessen Standards könne man aber nicht schlicht übernehmen, so die befragten Journalisten. "Die im Westen sollen endlich kapieren, dass die Presse das Ergebnis der Gesellschaftslage ist".

Mehr zum Ö1 Schwerpunkt "Nebenan: Bulgarien" in oe1.ORF.at

Links
BN.R - Deutsche Redaktion
BN.T
Journalismus in Bulgarien - Studie von Pavlina Krasteva (pdf)
GfK

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