Flucht ins Ausland

Auf den Spuren der rumänischen Intellektuellen

Die ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts gelten auch heute noch als das goldene Zeitalter der rumänischen Kultur und Wissenschaft. Heute ist Rumänien neben Bulgarien das jüngste Mitglied der EU und dennoch oftmals nur als "Vampir-Hochburg" bekannt.

Den Grundstein für die goldenen Jahre der rumänischen Kultur und Wissenschaft legen die Revolution von 1848, die Gründung der ersten rumänischen Universität in Iasi, sowie eine aufstrebende Literaturszene. Sie schaffen und festigen eine rumänische Identität. Auf diese Entwicklung folgte eine rege Auseinandersetzung mit Westeuropa und später heftige Auseinandersetzungen zwischen "Traditionalisten" und "Verwestlichern". Die goldenen Jahre werden von der Königsdiktatur Carols II und dann von der mit den Nazis verbundenen Antonescu-Diktatur unterbrochen.

Staatsflucht

Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges und unter der Herrschaft des Sowjetregimes verlassen hunderte Intellektuelle das Land - die Nachwehen der blutigen Revolution von Weihnachten 1989 sind hohe Arbeitslosigkeit und wachsende soziale Ungleichheit. Die Bevölkerung verlässt das Land in Massen. In den ersten drei Jahren nach dem Fall des Kommunismus wandern knapp 200.000 Menschen ab, damals vorwiegend nach Israel, in die Türkei und Ungarn.

Heute sind Spanien und Italien die beliebtesten Zielländer der rumänischen Arbeiter und Arbeiterinnen. Mit dem im Ausland verdienten Geld unterstützen viele von ihnen ihre zurück gelassenen Angehörigen. Im Jahr 2006 wurde aus dem Ausland die Rekordsumme von mehr als fünf Milliarden Euro auf die rumänischen Konten überwiesen - das sind immerhin fünf Prozent des Bruttoinlandproduktes

"Die besser bzw. hoch gebildete rumänische Bevölkerung zieht es im Gegensatz zu den Arbeitern und Arbeiterinnen in die USA und nach Frankreich", sagt der Historiker Gheorghe Iacob von der Alexandru Ioan Cuza - Universität, der ältesten und - diversen Rankings zufolge - besten Universität Rumäniens. Sie befindet sich Iasi, im Nord-Osten des Landes an der Grenze zu Polen und Moldawien und wird oft auch als Bildungshauptstadt Rumäniens bezeichnet.

"Nichts-wie-weg"-Virus auch an Universitäten

Die Universitäten der Bildungshauptstadt leiden am selben Problem, wie die anderen Universitäten Rumäniens: Ihnen kommen zusehends Forscher und Forscherinnen abhanden.

Eine repräsentative Befragung des wissenschaftlichen Personals der rumänischen Universitäten im Jahr 2000 hat ergeben, dass sich jeder Zweite über Möglichkeiten zur Emigration informiert hat. Weitere 14 Prozent hatten bereits konkrete administrative Schritte in diese Richtung folgen lassen. Und jeder zehnte Wissenschaftler plante, solche Schritte in den kommenden zwölf Monaten zu setzen.

Wenig Lohn, geringe Aufstiegschancen

"Die Hauptgründe für die Emigration sind bis heute dieselben geblieben: das sind die kümmerliche Entlohnung und geringe Aufstiegschancen der Jungforscher", sagt der Archäologe und Germanist Aleksander Rubel, der seit über fünf Jahren an der Universität von Iasi lehrt.

Das Salär des wissenschaftlichen Personals der verschiedenen Fakultäten ist hier davon abhängig, wie viele Studenten das Fach belegt haben. Das heißt, dass ein Professor an der gut besuchten Wirtschaftsfakultät locker zehn Mal so viel verdient, wie sein Kollege, der Literaturwissenschaftler.

Geisteswissenschaften in Bedrängnis

Während es mit den Naturwissenschaften langsam wieder bergauf geht, steht es um die rumänischen Geisteswissenschaften nach wie vor schlecht. Zumindest an den staatlichen Universitäten. "Viele Lektoren und außerordentliche Professoren müssen sich bei einem Durchschnittsgehalt von 300 Euro mit Zweit- und Drittjobs über dem Wasser halten. Sei es als privater Sprachlehrer, oder seltener, als Vertreter für Versicherungspolizzen", erzählt die wissenschaftliche Leiterin des New Europe College, Anca Oroveanu.

Das New Europe College (NEC) wurde in der ersten Hälfte der 1990er von einem der wohl bekanntesten rumänischen Dissidenten ins Leben gerufen - dem Literaten, Philosophen und Kunsthistoriker Andrej Plesu. Nach seiner Rückkehr gründete er das NEC - eine Stiftung, die nach dem Vorbild des Wissenschaftskollegs zu Berlin, jungen Geisteswissenschaftlern optimale Arbeitsbedingungen bietet, die an den staatlichen Universitäten so nicht gegeben sind.

Hör-Tipp
Dimensionen, Mittwoch, 21. November 2007, 19:05 Uhr

Buch-Tipps
Axel Barner (Hrsg.), "Bukarest. Europa erlesen", Wieser Verlag

Kristina Werndl (Hrsg.), "Rumänien nach der Revolution. Eine kulturelle Gegenwartsbestimmung", Braumüller Verlag.

Links
New Europe College
Universitatea Alexandru Ioan Cuza

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