Aufschwung seit der Wende
Kunst fernab von Bukarest
Rumänien ist ein extrem heterogenes Land. In Temeswar oder Klausenburg im Westen herrscht ein anderes gesellschaftliches Klima als etwa in Bukarest. Im Kunstbetrieb ist Bukarest nicht das einzige wichtige Zentrum. Ganz im Gegenteil.
8. April 2017, 21:58
Die "Armory Show" in New York ist im weltweiten Vergleich eine Kunstmesse der A-Liga. Wer würde annehmen, dass eine Galerie aus einer mittelgroßen westrumänischen Stadt weniger als zwei Jahre nach ihrer Gründung den Sprung auf diese Messe schafft? Ist aber so. Die Galerie heißt Plan B und befindet sich in Cluj-Klausenburg, rund 170 Kilometer östlich der rumänisch-ungarischen Grenze.
Magazin für Kunst und Gesellschaft
In Klausenburg gibt es auch noch die Stiftung "idea", die das gleichnamige Magazin für Kunst und Gesellschaft herausgibt, sowie Buchreihen. In den auch grafisch erstrangigen Veröffentlichungen wird einerseits über Kunst berichtet, andererseits - und vielleicht noch wichtiger - erscheinen bei "idea" der Reihe nach so ziemlich alle Philosophen und Kulturtheoretiker auf Rumänisch, deren Schriften in den letzten Jahrzehnten Künstler tiefgreifend beeinflusst haben – von Roland Barthes über Vilem Flusser und Jean Baudrillard bis Peter Sloterdijk.
Und schließlich wird gemunkelt und geschrieben, dass rund um die Klausenburger Kunstuniversität eine neue Malerschule heranwachse, eine Gruppe von Talenten, vergleichbar der so überaus erfolgreichen Leipziger Schule.
Kunstinitiative KOKEM
Man denke sich von Klausenburg eine Achse knapp 250 Kilometer Richtung Osten, dann findet man auf der Karte Miercurea Ciuc, ungarisch Csikszereda, eine Kleinstadt mitten im ungarischsprachigen Széklerland. Die dortige junge Kunstinitiative KOKEM hat zwar im rumänischen Kunstbetrieb schon einen gewissen Ruf, kämpft aber in der Stadt selbst mit Widerständen. Die beiden Künstler Zsólt Bersan und Antal Jánosi betreiben ehrenamtlich einen Kunstraum mit 180 Quadratmetern Ausstellungsfläche. Sie nennen ihn "Museum zeitgenössischer Kunst", Kürzel: KOKEM, und zwar deshalb, weil die Sponsoren in diesem kleinstädtischen Milieu sich von dem Wort "Museum" leichter beeindrucken lassen.
Mit winzigen Budgetmitteln stellen sie derzeit noch in erster Linie Künstler aus Rumänien aus, und zwar aus allen Landesteilen, nicht nur aus ungarischsprachigen Gebieten. Damit machen sie sich hier im Kernland ungarischen Sprach- und Kulturbewusstseins nicht nur Freunde. Assimilationsängste sind in dieser Gegend eine der Wurzeln für Ressentiments dagegen, dass quasi zu viele Rumänen eingeschleust werden könnten.
"Wir wurden oft gefragt, warum wir mit Rumänen reden, und wieso wir mit rumänischen Künstlern Freundschaft schließen. Diese Fragen gehen schon eher in Richtung Nationalismus. Die Menschen sind hier nicht vorbereitet für die Öffnung. Es ist wie ein Witz hier, wenn wir behaupten, wir sind in Europa. Ein deutscher Künstler wird vielleicht akzeptiert, weil er von weit her kommt, aber rumänischsprachige Künstler aus Sibiu, Bukarest oder Kolozsvár wollen die Leute nicht schlucken. Wenn wir einen rumänischen Künstler hier ausstellen, haben wir viel weniger Besucher als sonst", ärgert sich Zsólt Berszán vom Kunstraum "KOKEM". Der interessanteste und zugleich provokativste Teil der KOKEM-Aktivitäten sind pfiffige Aktionen, mit denen sie sich direkt an die Öffentlichkeit und die Politik wenden.
Aufruhr um Installationen
Den bisher größten Aufruhr in der noch jungen Geschichte von KOKEM waren Installationen und Performances auf einer ruhenden Baustelle mitten im Zentrum. Dort hatte das Regime in den 1980ern ein Stück Altstadt niedergerissen und unsägliche Blocks gebaut. Ein Kulturzentrum sollte auch noch entstehen, doch dann kam die Wende, und der halbfertige Bau wurde auch von den nachfolgenden Stadtregierungen sich selbst überlassen.
"Was haben die Menschen dann aus diesem halbfertigen Gebäude gemacht? Eine Bedürfnisanstalt. Im Stadtzentrum gibt es nämlich keine öffentlichen Toiletten", erzählt Berszán. "Die Stadtregierung hat davor die Augen verschlossen. Sie haben getan, als wäre das Gebäude nicht dort. Aber im Sommer hat es sogar herausgestunken. Als klar wurde, dass internationale Künstler diesen Ort für ihr Projekt nützen wollen, ist Panik ausgebrochen. Da hätten ja Politiker zur Eröffnung kommen müssen, die hätten dann dem selbstverschuldeten Dreck ausweichen müssen. Der damalige Bürgermeister wollte die Aktion nicht genehmigen, aber das Objekt war der Kreisbehörde unterstellt, und von denen hatten wir schon die Genehmigung in der Tasche. Die Ausstellung war dann einer unserer größten Erfolge. Noch nach Jahren sind die Menschen hineingegangen, um die Installationen anzuschauen. Mindestens 4.000 Leute haben das Gebäude besucht."
Unterstützung des rumänischen Kulturinstituts in London
Viel besser geht es in dieser Hinsicht der Periferic Biennale in Iasi, einer attraktiven 400.000-Einwohner-Stadt im Nordosten Rumäniens, unweit der Grenze zu Moldawien. Der Künstler Matej Bejenaru, der die Biennale leitet, registriert erstaunt, dass das rumänische Kulturministerium begonnen habe, zeitgenössische Kunst systematisch zu fördern, wenn auch noch nicht mit großen Summen. Mit finanzieller und organisatorischer Unterstützung des rumänischen Kulturinstituts in London konnte Matej Bejenaru ein eigenes Projekt in der Tate Modern verwirklichen. Es war eine Performance mit rund 250 in London lebenden Rumänen, aus der auch ein kurzer Film wurde. Die Suche nach Teilnehmern dauerte Monate. Das Ergebnis habe den Aufwand gelohnt.
"Wir können nicht mehr in geografischen Begriffen wie Landesgrenzen denken", meint Bejenaru. "Wir sind Teil dieser völlig grenzüberschreitenden Kunstwelt. Wir arbeiten sehr gut mit Künstlern aus Istanbul, Tel Aviv oder Ramallah zusammen, mit Künstlern aus Skopje, Chisinau oder Kiew. Vor einem Jahrzehnt blickten die Künstler hier nur nach Westen und wollten sich vom Westen legitimieren lassen. Jetzt gibt es eine Diversifizierung - und damit auch diese regionalen Netzwerke, die sehr wichtig sind."
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