Ausgebootete Friedlind Wagner

Diese Wagners!

Es wird viel in den Medien berichtet über die Nachkommen des großen Komponisten Richard Wagner, über die Bayreuther Festspiele und wer sie gerade leiten soll. Aber es gibt eine Außenseiterin, die man meist vergisst: Friedelind Wagner.

Von Friedelind Wagners Leben kann man nicht erzählen, ohne ihre Familie zu beschreiben, jene Familie, in die sie als Enkelin des Komponisten Richard Wagner hineingeboren wird. Schon dass man von ihr als Richard Wagners Enkelin spricht und nicht als der Regisseurin oder allenfalls als der Tochter des Komponisten Siegfried Wagner weist auf ein grundlegendes Problem des Clans hin: Richard Wagner überschattet alle.

Richard Wagners Kinder

Richard Wagner, 1813 geboren, war in vielerlei Hinsicht ein ungewöhnlicher Familiengründer: Seine erste Ehe, in jungen Jahren geschlossen, bleibt kinderlos. Sie hält bis zum Tod seiner Frau Minna, wird aber lange davor schon zermürbt durch finanzielle Notlagen, oftmalige Flucht vor Gläubigern, politische Verfolgung und - eine wachsende Schar von Bewunderinnen und Geliebten.

Als Richard Wagner und Cosima, die Tochter seines Freundes Franz Liszt, ein Paar werden, sind beide verheiratet, sie hat überdies zwei Töchter. Cosimas Mann, Hans von Bülow, ist ein enger Freund und Förderer Wagners. Erst nachdem das dritte Kind von Richard und Cosima geboren und als Wagners Ehefrau Minna gestorben ist, lässt sich Cosima von Bülow scheiden und heiratet Richard Wagner 1870. Gleichzeitig übernimmt sie das Management der Großfamilie - fünf Kinder, viele Haustiere - und bringt Ordnung in sein berufliches Leben.

Der Traum vom eigenen Opernhaus

Richard Wagners Traum wird wahr: das eigene Festspielhaus, in der kleinen fränkischen Provinzstadt Bayreuth. Er entwirft selbst das Festspielhaus - ein schlichter Bau, im Gegensatz zu den prunkvollen Opernhäusern seiner Zeit, mit vorzüglicher Akustik. Ausschließlich seine Werke sollen hier aufgeführt werden und für alle Zeiten soll immer ein Wagner-Nachkomme die Festspielleitung innehaben.

Die prunkvolle Villa Wahnfried samt Nebengebäuden ist der standesgemäße Familiensitz. 1876 werden die Bayreuther Richard-Wagner-Festspiele mit dem "Ring des Nibelungen" eröffnet, erst sechs Jahre später folgt "Parzifal". Dann stirbt Richard Wagner 70-jährig in Venedig. Der einzige Sohn Siegfried ist erst 16 Jahre alt, also übernimmt Cosima Wagner die Leitung, macht die Festspiele zu dem, was sie bis heute sind: ein glanzvolles gesellschaftliches Ereignis und ein florierendes Unternehmen.

Tüchtige Unternehmerinnen

Cosima sieht sich immer nur als Statthalterin für den einzigen Sohn und Erben Siegfried, die Schwestern werden mit vergleichsweise kleinen Zuwendungen abgefunden. Genauso wird drei Jahrzehnte später ihre Schwiegertochter Winifred verfahren. Allerdings gibt es einen gravierenden Unterschied: Richard Wagner hat kein Testament hinterlassen, wohl aber Siegfried, und der hat alle vier Kinder gleichberechtigt eingesetzt: die Söhne Wieland und Wolfgang und die Töchter Friedelind und Verena.

Anstelle der halbwüchsigen Kinder übernimmt die junge Witwe Winifred die Leitung der Festspiele. Sie ist wie Cosima eine tüchtige Unternehmerin und nutzt ihre enge Freundschaft mit Adolf Hitler, um mit seiner Unterstützung den Festspielbetrieb bis praktisch zu Kriegsende weiterführen zu können.

Politisch unbelastet

1945 stellen sich der Bürgermeister und bayrische Politiker die Frage, wer die Richard-Wagner-Festspiele im zerbombten Bayreuth wieder aufbauen soll, wo die Familie politisch belastet ist? Es gibt eine Ausnahme: Friedelind, die älteste Tochter Winifreds und Siegfrieds, ist 1938 über London in die USA ins Exil gegangen, hat mit dem englischen Geheimdienst zusammengearbeitet, Propaganda gegen das Naziregime betrieben. Außerdem ist sie beruflich kompetent, und als Erbin im Testament ihres Vaters bedacht.

Aber Winifred und die beiden Söhne schaffen die Entnazifizierung und booten die "Abtrünnige" Friedelind sehr schnell aus. Als 1951 die Festspiele glanzvoll wiedereröffnet werden, haben Wieland und Wolfgang die Leitung inne. Seit dem Tode Wielands 1966 steht Wolfgang Wagner allein an der Spitze, unabsetzbar durch den Stiftungsvertrag.

Außenseiterin Friedelind

Friedelind Wagner führt ein ruheloses Leben, versucht sich mit Oper-Meisterklassen in Bayreuth und England, wirkt als Lehrerin, Regisseurin, Schriftstellerin und Vortragende. Sie versucht, die Anerkennung der längst vergessenen Werke ihres Vater Siegfried Wagner zu erreichen.

In Bayreuth bleibt sie die Außenseiterin, erwirbt sich aber Achtung und Zuneigung ihrer zahlreichen Schüler und Freunde in aller Welt. Friedelind Wagner stirbt 1991 im Alter von 73 Jahren in der Schweiz.

Hör-Tipp
Hörbilder, Samstag, 20. Juni 2009, 9:05 Uhr

Links
Wagner Web
Bayreuther Festspiele