Geschichte der deutschen Landschaft
Die Eroberung der Natur
Mit Landschaft als idyllischem Exil der Heiterkeit und tiefer Gemütsruhe hat das Buch "Die Eroberung der Natur" des Harvard-Historikers David Blackbourn nichts zu tun. Und: Blackbourn konzentriert sich auf das Phänomen Wasserbau.
8. April 2017, 21:58
David Blackbourn beginnt seine in sechs Kapitel gegliederte Geschichte deutscher Landschaftsgestaltung im Lauf der letzen 250 Jahre mit einer "Historisierung des Blicks".
Ein Deutscher, der aus dem Jahr 1915 oder 1940 in das Jahr 1750 zurückversetzt worden wäre, hätte zu seiner Verblüffung festgestellt, wie "anders" die natürliche Landschaft aussah - weitaus weniger Flächen waren kultiviert, ein weit größerer Teil war von Sand, Gestrüpp und vor allem Wasser bedeckt. Der Besucher aus dem 20. Jahrhundert hätte nicht weit zu reisen gehabt, bis er auf Tümpel, Teiche und Seen gestoßen wäre, die seit langem trockengelegt und vergessen waren.
Begradigung des Oderdurchbruchs
Die im deutschen Titel unterschlagene Konzentration auf das Phänomen Wasserbau beginnt im 14. Jahrhundert. Zisterziensermönche haben damals erstmals eine Rheinschleife begradigt; Dämme und Pumpanlagen werden ab 1750 exzessiv errichtet und verwendet. Flussbegradigungen, die Trockenlegung von Mooren und Sümpfen haben das Bild der Landschaft schon ebenso tiefgreifend verändert, wie die späteren, offensichtlichen Symbole der Neuzeit - Fabrikschornsteine, Eisenbahn und aufkommende Großstadt.
Für Blackbourn beginnt das mit der Begradigung des sogenannten Oderdurchbruchs durch Friedrich den Großen. 56 Kilometer am Westufer der Oder stellen "wertloses Sumpfland" dar - nach mehrfachen Versuchen der Trockenlegung macht Friedrich der Große mit der Sache Ernst: Er engagiert den Dammbauer Leonhard von Haerlen und den Mathematiker Gauss. Gauss notiert:
Man muss, ehe man einen Canal ausgräbt, in dem Wasser fließen soll, erst vollkommen versichert sein, dass das eine Endes des Canals höher ist als das andere.
Nach zahlreichen Fehlschlägen, Fieberepidemien unter den Arbeitern, die bis zur Hüfte im Wasser stehen, wird das Projekt unter militärische Leitung gestellt: Von 1.200 Arbeitern sind 950 Soldaten. Zum Abschluss der "Miltäroperation" heißt es am 2. Juli 1753: "Wasser marsch". Und Friedrich der Große meint: "Hier habe ich eine Provinz im Frieden erobert".
Der "Jadebusen"
Eindringlichstes Beispiel für den Zusammenhang von Natur- und Herrschaftsgeschichte ist das Kapitel über den sogenannten "Jadebusen". Preußen - "auf dem Festland eine Riese, auf dem Meer ein Zwerg" - erwägt im heraufziehenden Imperialismus den Ausbau seiner Flotte. An der Ostsee leicht blockierbar, bietet sich der Jadebusen mit dem Nordseehafen Oldenburg als deren idealer Standort. Militärische Planer haben selbstredend das Sagen.
Das Kapitel über die "Hochzeit der Talsperren" um 1900 konzentriert sich auf den Ingenieur Otto Intze, "den Großmeister der deutschen Talsperre", der den Staudammbau auf solide "wissenschaftliche und technische Grundlage" stellt.
Trockenlegung der Sümpfe
Die Grenze zwischen Polen und dem heutigen Weißrussland waren in den 1920er Jahren Beispiel eigentümlicher Volkstypologien: Während "der Pole" von Fischfang vor sich hinlebt, treibt "der Deutsche" - seit den Ritterorden - auch im Osten Ackerbau und Viehzucht. Unmittelbar nach dem "Blitzkrieg" gegen Polen nimmt das "Reichskommissariat für die Festigung des Deutschtums" sein Tätigkeit auf: Gigantische Pläne für Musterhöfe, Autobahnen zwischen Ostsee und Schwarzem Meer werden entwickelt.
Da gibt es umfangreichen Aktionen zum Bevölkerungsaustausch der diversen "Volksdeutschen" zwischen Bessarabien und Südtirol - und das "Judenreservat Lublin". Zwangsarbeiter aus Letzterem werden schließlich zur Trockenlegung der Sümpfe herangezogen, 1942/43 sind es holländische Zwangsarbeiter, die im letzten Urwald Dämme errichten. Nach Hitlers Plänen soll das Ganze in eine Landschaft - in "schöne Gärten mit Obstbäumen und Äckern" - verwandelt werden. Das Vorhaben scheitert bekanntlich unter der heranmarschierenden Roten Armee.
Die "versunkene Welt",
Das Schluss-Kapitel "Landschaft und Umwelt in beiden Teilen Deutschlands nach dem Krieg" fällt eher kursorisch aus: Da sind einmal die Klagelieder über "verlorene Länder" im Osten, über die "versunkene Welt", wie sie die diversen Landmannschaften und Vertriebenenverbände singen:
Das Land dort war für unsere Familie wie ein Schwamm. Es saugte unseren Schweiß und unser Blut auf und blühte wie eine Oase.
Eindrucksvolle Studie
Der Hauptstrang von Balckbourns Argumentation lautet: "Eroberung der Natur" ist in Deutschland "mit der Eroberung von andern verbunden". Dem mag man nur teilweise zustimmen, nicht zuletzt, weil Blackbourn selbst immer wieder auf den europaweiten Charakter des Vorgangs hinweist.
In Jedem Fall ist das Buch eine eindrucksvolle Studie über den Zusammenhang von Politik, Landschaftsgestaltung und Technik-Geschichte, ein wirkliche Kulturgeschichte und ein recht massiver Damm gegen die schier unbezähmbaren Flut an Gartenbüchern. Denn eines ist sicher: Von idyllischen Gartenlauben aus lässt sich Umwelt weder gestalten noch schützen.
Hör-Tipp
Kontext, jeden Freitag, 9:05 Uhr
Buch-Tipp
David Blackbourn, "Die Eroberung der Natur. Eine Geschichte der deutschen Landschaft", aus dem Englischen übersetzt von Udo Rennert, Deutsche Verlagsanstalt