Vom Missbrauch der historischen Vernunft

Im Namen der Geschichte

Von Philosophen erwartet man moralisch und politisch Korrektes, das außer Streit steht. Rudolf Burger stellt sich aber jedem Streit. Und auf Etiketten gibt er nichts. "Im Namen der Geschichte" ist der Titel seines neuesten Werks.

"Niemals vergessen" so tönt es auf allen Sonntagsreden, denn wer die Geschichte vergesse, der sei dazu verurteilt, sie zu wiederholen. Dieser Satz sei ein neuer kategorischer Imperativ, meint Rudolf Burger. Und jeder, der ihn bestreite, setze sich dem Verdacht aus, die geschehenen Gräueltaten verniedlichen zu wollen. Viel wichtiger aber als das permanente Erinnern sei es, von Zeit zu Zeit die Verbrechen der Vergangenheit zu vergessen. Denn nur so sei Versöhnung möglich, ist der Philosoph überzeugt.

Vergessen wollen und Vergessen können

Vom Westfälischen Frieden bis zum Edikt von Nantes, in dem Heinrich der Vierte "erklärt und verordnet", dass die Erinnerung an das Geschehene "ausgelöscht und eingeschläfert" werden soll, bis hin zu einem Gesetz von Ludwig XVIII., der das Gedenken an den Terror der Französischen Revolution untersagt und sogar das Vergessen der Königsmörder befahl - "um die Ketten der Zeiten neu zu knüpfen", wie es hieß. Das Vergessen-wollen und Vergessen-können hat eine lange Tradition.

Noch eine Wendung habe das Erinnern, das Erzählen von Geschichten und Geschichte in letzter Zeit genommen, sagt Rudolf Burger. So wurden im Historismus des 19. Jahrhunderts vor allem Heldengeschichten überliefert. Berichtet wurde von großen Taten, von Triumphen, die als Ansporn dienten und denen es nachzueifern galt. Heute hingegen heißt erinnern, zunehmend sich an die Opfer zu erinnern. Es kämpften "Erinnerungskartelle" um das "Opfermonopol", so der Philosoph.

Geschichte ist immer Konstruktion. Die Vergangenheit wird erzählt, mancher Dinge wird gedacht, anderer nicht. Welche Art der Geschichtsschreibung sich nun durchsetzt, welche als "wahr" anerkannt und nicht mehr hinterfragt wird, das hängt von den Machtverhältnissen ebenso ab, wie von den öffentlichen Diskursen.

Geschichtsphilosophischen Fragen

"Im Namen der Geschichte" ist eine ebenso provokante wie fundierte Auseinandersetzung mit geschichtsphilosophischen Fragen. Rudolf Burger zeigt, dass es keine "wahre" Geschichte gibt. Dass Geschichte immer ein Ort für aktuelle Kämpfe ist und die Vergangenheit immer wieder neu gedeutet wird. Und Burger hinterfragt auch, ob man denn wirklich aus der Geschichte etwas lernen könne.

Kein Volk, keine Gruppe kommt ohne Geschichte aus. Immer wieder müssen sich die Menschen ihre Vergangenheit erzählen, um so ihre Identität zu wahren und neu zu stiften. Suspekt wird Geschichte erst dann, wenn sie ihre politischen und moralischen Fundamente nicht transparent macht. Und das ist dann auch das Ziel, das Rudolf Burger mit diesem Buch verfolgt: ein wenig die moralische Wucht der Geschichte zu mindern.

Hör-Tipp
Kontext, jeden Freitag, 9:05 Uhr

Buch-Tipp
Rudolf Burger, "Im Namen der Geschichte. Vom Missbrauch der historischen Vernunft", Zu Klampen Verlag