Ab ins Leseeck
Hilfe, das W-Fest ist nah!
Schenker-Schatten umkrallen den Alltag, Idylle ist so fern wie Besinnlichkeit. Advent bleibt auf Schokokalender und alkoholschwere Weihnachtsfeiern reduziert. Aber: Es gibt Bücher, die das W-Fest vergessen und sich gut verschenken lassen!
8. April 2017, 21:58
Ehrlich, manchmal denke ich mir, wir haben sie nicht mehr alle - ich möchte nun wirklich nicht eine große Anklage nach dem Motto "Geld regiert die Welt und alles andere ist Nebensache" starten. Aber Sie brauchen ja nur die Augen aufzumachen, dann sehen Sie schon, was ich meine. Zum Beispiel das letzte Wochenende, dieses zweite Adventwochenende. Sind Sie auch an den Kassen diverser Supermärkte Schlange gestanden? Haben Sie sich auch in die Einkaufszentren hinein- bzw. herausgestaut? Na und: Haben Sie nun alles beisammen, was Sie für ein friedliches W-Fest brauchen?
Ich habe das Gefühl, mit dieser ganzen Schenk-Orgie wollen wir eigentlich bloß eines: ein so wunderbares Fest, wie man es als Kind erlebt hat. Vielleicht. Hoffentlich. Genau dieses Feeling soll wieder entstehen, das Behütetsein, der Duft aus der Küche, der sanfte Kerzenschein, die Andern alle, die es sich auf den Sofas verteilt gut gehen lassen. Weihnachtliche Idylle, genau darauf zielt alles. Und ich bin sicher, manche von Ihnen schaffen es auch, so etwas Ähnliches herzustellen. Und wenn es auch nur für eine Stunde ist, so ist's gut.
Aber damit alle, die es sich auf den Sofas gut gehen lassen, auch friedlich bleiben, müssen sie etwas zu tun haben. Lesen zum Beispiel. Etwas Fesselndes zum Beispiel. Einen Krimi mit einem Hauch Gegenwart könnte ich empfehlen, "Stalins Geist", passend zur eben stattgehabten Russenwahl. Im Durcheinander des modernen Moskau erscheint in einer Moskauer Metrostation Stalin. Was gibt es da zu ermitteln, meint der Ermittler und wehrt sich, der Sache nachzugehen - als ob es nicht schon genug Probleme für den Ermittler gäbe, nämlich der Reihenfolge nach der Chef, die Kollegen, der Job, die Frau, der Sohn. Ist doch ein guter Ausgangspunkt, oder?
Oder bevorzugen Sie Krimis mit Zukunftsvisionen? Dann sollten Sie "Wiener Blut" lesen oder verschenken. Spielt in einem futuristischen Wien, im Hundertwasserhaus, im Karl-Marx-Hof und wo sich sonst noch kolumnenschreibende Zeitungsfuzzis herumtreiben. Und es geht um sehr aktuelle Verbrechen: Genmanipulation und Computerkriminalität. Ich finde höchst witzig, wie der in Paris lebende Brite Adrian Mathews das Wien der Zukunft zeichnet, das alleine schon macht das Buch zu etwas Besonderem.
Sie verschenken lieber Kulinarisches? Habe ich auch: einen Krimi, in dem es um Trüffeln geht. "Tödlicher Tartufo" spielt in - wo könnte es anders sein - Alba. Sie mögen Kulinarisches lieber ohne Verbrechen? Damit kann ich auch dienen: der öftest zu sehene (gibt's diese Wortkombination überhaupt?) Fernsehkoch aller deutschen Fernsehsender hat seine Biografie herausgegeben, sehr konfliktfrei und freundlich. Zu lesen auch.
Sie lesen nicht? Oh! Warten Sie, dann habe ich auch was für Sie: ein Musikbilderbuch und ein Ferneländerbilderbuch. Mit dem einen können Sie die Wiener Philharmoniker durch die letzten zwei Jahre begleiten, per Bild - den Ton müssen Sie sich selbst dazu holen. Das andere bringt sie in die Vogelperspektive über Indien. Sie könnten sich also, während Sie Foto für Foto betrachten, in einen Falken oder was immer Sie gerne für ein Vogel sein wollen verwandeln und über Festungen oder badende Elefanten schweben. Die Kamera wurde nicht etwa an einem echten Vogel befestigt, sondern an einem Flugdrachen. Und der half, eine Gesetzeslücke auszufüllen: In Indien dürfen nämlich keine Luftaufnahmen gemacht werden. Aber weil in dem Gesetz nichts von Fotografieren aus Flugdrachen steht...
Jetzt wollen Sie sicher wissen, was ich zu Weihnachten mache. Keine Ahnung. Lesen, vielleicht?
Buch-Tipps
Martin Cruz Smith, "Stalins Geist. Ein Arkadi-Renko-Roman", C. Bertelsmann Verlag
Adrian Mathews, "Wiener Blut", Eichborn Verlag
Michael Böckler, "Tödlicher Tartufo. Ein kulinarischer Fall für Hippolyt Hermanus", Droemer Knaur Verlag
Johann Lafer, "L: Lafer. Die Autobiographie", Collection Rolf Heyne
Clemens Hellsberg, Daniel Schmutzer (Hg.), "Die Welt der Wiener Philharmoniker", Ueberreuter Verlag
Nicholas Chorier, "Indien von oben. Mit einem Vorwort von Zubin Mehta", Verlag Frederking & Thaler