Leonid Kogan zum 25. Todestag
Die russische Geigenschule
Am 17. Dezember 1982 starb der russische Geiger Leonid Kogan auf einer Reise von Österreich in die Sowjetunion. Kogan, der im Schatten David Oistrachs gestanden hatte, entwickelte einen kraftvollen, vibratoarmen Musikstil, den viele als "kaltes Feuer" umschrieben.
8. April 2017, 21:58
Als er zwölf war, hat ihn Jacques Thibaud in Moskau gehört und ihn als den kommenden Heifetz bezeichnet. Dennoch kann man ihn eigentlich rückblickend auf seine - trotz seines Todes mit nur 57 Jahren - jahrzehntelange Karriere - nicht als Nachfolger von Heifetz bezeichnen. Zu wenig subjektiv war er, zu sachlich, trotz seines Temperaments.
Harald Eggebrecht schildert ihn in seinem Buch über große Geiger als: "Begabt mit einem einzigartigen dunklen, ja düsterem Geigentimbre, ein Musiker fähig zu den wildesten Ausbrüchen, die je auf einer Violine zu hören waren, fähig zu abgrundtiefen Verschattungen, zu knirschendem Grimm, aber auch zu nuancenreichem Farbenrausch."
Moderne Klarheit
Kogan ist ein Künstler von moderner Klarheit, was damals - als er nach dem zweiten Weltkrieg begann international bekannt zu werden, noch keineswegs eine Tendenz in Richtung historischer Aufführungspraxis bedeutete. So spielte er etwa Locatelli in der romantisierenden Bearbeitung von Eugene Ysaye, aber er spielte dessen charmanten Barocksonaten klarer und sachlicher als etwa David Oistrach, der dieselbe Version ebenfalls im Studio aufgenommen hat.
Kogans Temperament konnte furios wirken, aber es entglitt ihm nicht. Er behielt, sozusagen, die Zügel immer in der Hand. Aber stets war er der kantigere, weniger glatte - im Gegensatz zu Heifetz, den er in seiner Jugend, also noch in der Zwischenkriegszeit gehört hatte.
Sein Ton war vielleicht nicht so groß, wie der Oistrachs, aber von dunklem Glanz, der sich ganz besonders gut für spanische, beziehungsweise spanisch empfundene Musik eignete, wie etwa Edouard Lalos' "Symphonie espagnole", einem fünfsätzigen Violinkonzert. Das ist ungewöhnlich. Drei Sätze sind normal bei einem Konzert, vier bei einer Sinfonie - aber fünf? Deshalb wurde in der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts dieser dritte, Intermezzo-Satz oft weggelassen. Kogan gehörte zur ersten Generation von Geigern, die die Tradition Kreislers und seiner Altersgenossen - da wurde das Konzert oft einsätzig gespielt - verließ und dem Beispiel Yehudi Menuhins folgte und alle fünf Sätze spielte.
Keine histoirsch-kritische Aufführungspraxis
Nun, dass Kogan noch nicht zur Originalklang Generation gehört hat, ist bekannt, dass er - wie Oistrach - nur ganz wenige Aufnahmen von barocken Solowerken hinterlassen hat - liegt daher auf der Hand. Unter diesen wenigen ist aber doch eine Serie von Leclair- und Telemann-Stücken, Violinkostbarkeiten für Plattensammler, die durch das wunderbare ineinander Verweben zweier Violinen eine Sonderstellung einnehmen.
Kogan hat sie - gemeinsam mit seiner Frau Elisabeth, der Schwester des Pianisten Emil Gilels - Anfang der 1960er Jahre aufgenommen; mit seiner neuen Geige, die er einer Intervention Oistrachs zu verdanken hatte, einer Guarneri del Gesù, während er früher - in den ersten beiden Aufnahmen aus den 50er Jahren auf einer Stradivari gespielt hat.
Einige biografische Fakten
Leonid Kogan wurde am 14. November 1924 in der Ukraine - in Dnjepropetrowsk - geboren und von seinem Vater, einem Fotografen und begeisterten Amateurgeiger - sobald der Knabe Interesse für das Instrument bekundete - beim Auer-Schüler Philip Jampolski zum Unterricht geschickt. Mit 8 Jahren hatte der kleine Leonid ein prägendes Erlebnis, als er erstmals den 16 Jahre älteren David Oistrach spielen hörte. Das spornte ihn an, noch mehr dann, zwei Jahre später ein Konzert von Jascha Heifetz.
Nach ersten öffentlichen Auftritten kam er an das Moskauer Konservatorium, wo er von einem anderen Schüler Leopold Auers, dem "Übervater" der russischen Geigenschule ganz der Tradition gemäß ausgebildet wurde. Mit 17 Jahren debütierte er in Moskau, unternahm Konzerttourneen, gewann auch einen Wettbewerb in Prag, aber die Sowjetkünstler wurden damals nur sparsam dosiert in den Westen geschickt. Oistrachs Welterfolg, seit dem Sieg beim Ysaye- Wettbewerb 1937, hätte zu früh relativiert werden können.
Ähnliches geschah übrigens später mit Svjatoslav Richter, der lange warten musste, bis er Gilels in den Westen folgen durfte. Und Kogans Durchbruch kam erst, als er schon 27 Jahre alt war, 1951. Damals gewann er den ersten Preis des "Königin Elisabeth Wettbewerbs" in Brüssel.
Erfolge auch als Pädagoge
Gleich danach übernahm er auch eine Geigenklasse am Moskauer Konservatorium, wo er als Lehrer sehr beliebt wurde. Als berühmteste seiner Schülerinnen gilt Viktoria Mullova.
In den 1950er Jahren etablierte sich eine Art Hierarchie in der internationalen Wertschätzung sowjetischer Musiker, die oft wenig mit der Realität zu tun hatte. So galt stets Emil Gilels als Wegbereiter Svjatoslav Richters und diesem nachgeordnet. Allerdings war unter den Geigern, Oistrach der Mann Nummer 1, und Kogan kam an zweiter Stelle - nicht nur chronologisch. Aber rückblickend kann man immer die Interpretationen nur im Einzelnen bewerten und sollte generelle Vergleiche meiden. So gilt z.B. Kogans Interpretation des ersten Paganini-Violinkonzertes als konkurrenzlos, ebenso seine Aufnahme des haarsträubend schwierigen Virtuosenstückes, das Mario Castellnuovo-Tedesco aus der "Figaro"-Cavatine von Rossinis "Barbiere" gemacht hat. Außer ihm hat damals nur Heifetz eine Aufnahme davon gewagt.
Hör-Tipp
Musikgalerie, Montag, 17. Dezember 2007, 10:05 Uhr
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