Karpfen anders
Die Hühnerverwertungsfamilie
Es gibt eine Reihe von Speisen, die ich in meiner Kindheit immer wieder so einfallslos zubereitet zu essen bekam, dass ich sie lange verweigerte. Fetter gebackener Karpfen zu Weihnachten und gebratene Hühner mit Reis waren mir lange Zeit ein Gräuel.
8. April 2017, 21:58
Wir waren in den 1970er Jahren eine Hühnerverwertungsfamilie. Mein Onkel, der Bauer, begann damals neben dem Halten von Kühen zur Milchproduktion und dem Aufziehen von Schweinen auch Hühner zu mästen. Zuerst wurden Tausende von Küken in kleinen Schachteln gebracht. Dann wurden in der Garage, in der Werkstatt, einfach überall, wo Platz war, Lampen mit großen Schirmen montiert, unter denen sich die zitternden Küken zum Wärmen versammelten. Wochenlang wurden die putzigen Federknäuel mit Kraftfutter vollgestopft, bis sie Keulen und Brüste zum Hineinbeißen hatten. Endlich konnte sie der Schlachter abholen. Allerdings mussten sie bestimmten Qualitätskriterien nach Größe und Gewicht genügen. Von den Tausenden Masthühnern erfüllten immer etwa hundert die Kriterien nicht. Die mussten am Bauernhof selbst geschlachtet werden. Wochen-, ja monatelang gab es bei Onkel und Tante und auch bei uns dann Huhn gebacken und Huhn natur. Zu sehr viel mehr Abwechslung auf dem Speiseplan reichte die Phantasie der damaligen Köchinnen nicht.
Kopfloses Baumkraxeln
Wir Kinder durften beim Schlachten der Hühner zusehen. Liebhaber einer saftigen Hendlkeule oder einer zarten Brust bitte jetzt zum Lesen aufhören. Mitten im Hof wurde ein Holzstock aufgestellt, darauf wurde der Kopf des gackernden Huhns gelegt, eine Axt geschwungen, bis das Blut spritzte, bis die Axt im Holzstock steckte und der Hendlkopf ab war. Dann wurde das kopflose Huhn sich selbst überlassen und das nächste kam an die Reihe. Oft richteten sich die enthaupteten Delikatessen noch auf und rannten ziellos davon. Durch den Hof, in den Garten, eines erwischte einen Baum und haxelte mit vollem Schwung am Stamm hinauf, bis es im Geäst stecken blieb. Wir Kinder sammelten dann die kopflosen Federkörper wieder ein, wenn sie ihre letzten Haxler gemacht hatten und brachten sie der Frau Riegler. Diese saß vor einem Kübel mit heißem Wasser und sorgte dafür, dass die ausgebluteten Hendlkörper säuberlich nackt zur weiteren Verarbeitung bereit waren. Dann wurden die Tiefkühltruhen gefüllt bis sie platzten und mit dem, was übrig blieb, wurden wir gefüllt bis wir... siehe oben bei "Hühnerverwertungsfamilie."
Zur Abwechslung Karpfen
Am Weihnachtstag konnte niemand mehr Hühnerfleisch sehen. Vielleicht gab es deshalb immer Karpfen, vielleicht auch einfach, weil es Tradition war. Aber warum bitte fett? Ich weiß das nicht so genau. Ich kann nur sagen, dass ich mich davon vor einigen Jahren befreien konnte. Da habe ich mich selbst an einem Karpfen versucht. Dreieinhalb Kilo schwer war er, ich bereitete ihn im Salzmantel zu, füllte ihn davor mit Kräutern, die ich in Butterstücke eingeknetet hatte und nähte den Bauch des Fisches zu. Sagen wir besser, ich versuchte es, denn irgendwie musste ich mit der Nadel in eine heikle Stelle gestochen haben. Der Karpfen machte einen Zucker, schlug wild mit der Schwanzflosse und sprang aus dem Bräter. Er schmeckte trotzdem köstlich, aromatisch, saftig und er war überhaupt nicht fett.