Zwischen zwei Welten

Verdammt, gefeiert, verfilmt

Es war ein Befreiungsakt, das Niederschreiben des Romans "Roter Mohn", erzählt Alai. Und es hatte nichts mit der Aufarbeitung der tibetisch-chinesischen Geschichte zu tun. Typisch: Erst wurde der Roman nicht gedruckt, dann wurde er ein Bestseller.

Es ist etwas Eigenes um das Schreiben, meint der Halb-Tibeter Alai. "Es ist wie eine Liebesgeschichte, verrückt, brennend und bitter. Wenn es vorbei ist, bin ich wie ein ausgetrockneter Fluss ohne Wasser, völlig ohne Energie. Und dann dauert es ziemlich lange, bevor ich wieder ein so großes Projekt angehen kann." Deshalb dauerte es auch zehn Jahre, bevor er nach der Niederschrift des Romans "Roter Mohn" wieder mit einem neuen Roman begann. "Nach so vielen Jahren brenne ich wieder vor Leidenschaft", erzählte Alai in "China daily", "und das, obwohl ich eigentlich die ganze Zeit mit Schreiben verbringe - Kurzgeschichten, Gedichte..." Alai ist seit 1996 Chefredakteur von "Science Fiction World", Chinas größtem Science-Fiction-Magazin.

Aufgewachsen als Chinese

Geboren wurde Alai im Norden von Sichuan, sein Vater war Tibeter, die Mutter gehört zu den Hui-Chinesen, einer islamischen Minorität. Alai wuchs während der Kulturrevolution auf, und zwar als Chinese, denn alles, was mit Tibet zu tun hatte, war verboten. So wurde er chinesisch eingeschult, arbeitete nach der Schule auf einem Bauernhof erst als Hirte, dann als Traktorfahrer und durfte erst nach Ende der Kulturrevolution in sein Heimatdorf zurück.

Es dauerte einige Zeit, bevor man ihm erlaubte, die Universität zu besuchen. Er studierte Chinesisch und wurde Chinesisch-Lehrer. Seine ersten Gedichte und Geschichten, auch den großen Roman "Roter Mohn", schrieb er in chinesischer Sprache.

Und dennoch, trotz aller Umerziehungsbemühungen, fühlt er sich als tibetischer Autor. "Irgendwie hänge ich zwischen den Kulturen von China und Tibet. Ich höre und sehe und beschreibe unterschiedliche Seelen und Herzen in der einen, der chinesischen und der anderen, der tibetischen Sprache. Das ist eine erstaunliche, irritierende und einzigartige Erfahrung."

Machthunger
"Roter Mohn" erzählt die Geschichte Tibets in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, aus der Sicht eines zweitgeborenen Fürstensohnes, der als Idiot gilt. Während sein Bruder, der Erstgeborene und Erbberechtigte des im Osten von Tibet gelegenen Fürstentums, seine Zeit damit zubringt, Macht in Form von Land für die Familie zu erobern, hat der Idiot eine viel lohnendere Weise gefunden, die Macht des Hauses zu vergrößern: durch Wirtschaftskrieg. Wer mehr zu essen oder zu verkaufen hat als der Gegner, muss nicht mehr kämpfen, ist die Maxime des Idioten, die ihm letzten Endes selbst das Genick bricht.

In China verfilmt
Die schonungslose Darstellung der Kommunisten und die farbenprächtige Schilderung des Alltags in Tibet vor der Eroberung durch China hat Alai erst nur Schwierigkeiten gebracht. Zwei Jahre lang wollte kein Verlag das heiße Eisen anfassen, erst nach dem Tod Den Xiaopings 1997 fühlte man sich nicht so eingeschnürt. Der Roman erschien 1998, wurde zum Bestseller und 2000 mit dem wichtigsten chinesischen Literaturpreis, dem Mao-Dun-Preis, ausgezeichnet - und als TV-Serie verfilmt, in bester Film-Noir-Tradition, nicht als chinesische "Hollywood-Mantel- und Degen-Story". Obwohl Alai im Roman auch eine Art Robin Hood verewigt hat: den närrischen Rebellen Onkel Tömba, eine in Tibet seit uralten Zeiten lebendige Figur, ein Held, der sich auf die Seite der Armen schlägt, um sie gegen die Obrigkeit in Schutz zu nehmen.

Alais aktueller Roman spielt ebenfalls in Tibet und wird aufs Neue die verklärte Sicht auf das friedliche und religiöse Land der Lamas, das sich in vielen "New-Age-Hirnen" festgefressen hat, verstören.

Service

Alai, "Roter Mohn", Unionsverlag

Erzähler aus Tibet, "An den Lederriemen geknotete Seele", Unionsverlag

Unionsverlag - Roter Mohn
China daily