Liaison der Standardisierungsgremien und der Wissenschaft
Digitales Kino
Vom Lichtschalter bis zum Arbeitsablauf, vom Datenaustauschformat bis zum Mobilfunk. Standards dienen der Vereinheitlichung. Sie geben Regeln vor, oder - so die jüngste Sprachregelung - gelten als Empfehlungen dafür, wie etwas funktionieren soll.
8. April 2017, 21:58
Die Bedeutung von Normen, so sagen diejenigen, die daran arbeiten, erkenne man, wenn sie fehlen. Es gibt zum Beispiel keine einheitliche Norm für Ladegeräte. Daher bedingt ein neues Handy auch den Kauf eines neuen Ladegeräts.
Aber selbst wenn Normen international anerkannt werden, bedeutet dies noch nicht, dass sie auch angewendet werden müssen. Vor mehr als 120 Jahren einigte man sich weltweit auf die Maßeinheit Meter und trotzdem rechnen zum Beispiel US-Amerikaner genauso wie die Briten lieber in Yards. Die Macht der Normen ist begrenzt. Und manchmal, so Kai Jakobs von der TU-Aachen, beschäftigt sich die Normierung mehr mit Wartungsaufgaben als mit dem Setzen von neuen Standards.
Prozess der Standardisierung muss beschleunigt werden
Internationale Normierungsgremien haben in den letzten Jahrzehnten zunehmend an Einfluss verloren. Vor allem Firmen, die auf dem Markt eine Monopolstellung einnehmen, zwingen dem Markt lieber einen "de facto" Standard auf, als dass sie die internationalen Gremien in Genf bemühen. In den letzten Jahrzehnten taucht auch vermehrt das Phänomen von Firmenkonsortien auf; Mehr oder wenig langlebige Interessengemeinschaften, die nur einem Zweck dienen: eine gemeinsame Entwicklung so schnell wie möglich auf dem Markt zu positionieren. Standardisierungsgremien agieren für diese Unternehmen viel zu langsam. Als hinderlich empfinden sie auch die Einflussnahme der Politik.
Das Standardisierungsgremium der Telekommunikationsgesellschaften, kurz ITU-T, sucht jetzt nach neuen Verbündeten und glaubt sie unter den Wissenschaftlern zu finden. Erstmals wurden diese im Mai von der ITU-T dezidiert zur Mitarbeit aufgefordert. Diese Einladung erfolgte, so Alexander Gelman, weil man sehr wohl erkannt habe, dass der Prozess der Standardisierung selbst beschleunigt werden müsse. Alexander Gelman ist Direktor für Standards bei der IEEE, der größten internationalen Interessengemeinschaft für Ingenieure, Informatiker und Elektrotechniker.
Wer ist ein Wissenschaftler?
Allein Wissenschaftler mit ins Boot zu holen und Abläufe zu verkürzen, damit allein wird es aber nicht getan sein. Für den japanischen Computerwissenschafter Tomonori Aoyama von der Keio Universität in Tokyo ist noch nicht ganz nachvollziehbar, wen die ITU-T eigentlich meint, wenn sie von Wissenschaftlern redet. "Wer ist ein Wissenschaftler? Es gibt zwei Gruppen. Die einen sind Wissenschaftler und die anderen sind Ingenieure. Ein Wissenschaftler will neue Theorien entwickeln und neue Fakten finden. Sie wollen etwas Neues schaffen. Ingenieure hingegen entwickeln Techniken für Benutzer."
Letztere, so Tomonori Aoyama, fühlen sich den Käufern, der Industrie und dem Produkt verpflichtet. In diesem Fall sei die Standardisierung wichtig. Der Japaner weiß wovon er spricht. Seit ein paar Jahren arbeitet er mit seinem Team an einem neuen System für das digitale Kino der Zukunft: Kurz 4K.
4K und die Macht Hollywoods
4K markiert einen Meilenstein in der Entwicklung des Films. Erstmals, so schreibt Theo Mayer in seiner Studie über die Auswirkungen der Visualisierung, wurde die Auflösung von Bildern nicht um 50 bis 70 Prozent verbessert, sondern gleich um 325 Prozent. Das Format, die Bildübertragung und die Bildpunkte wurden bei 4K perfektioniert. Diese Weiterentwicklung hat nichts mehr mit "high definition" Fernsehen zu tun.
HDTV wurde vor rund 25 Jahren vorgestellt und hält jetzt langsam Einzug in die Wohnzimmer. Im Format 16:9. Der Unterschied liegt nicht nur am Format der Kinoleinwand allein, sondern auch am Equipment und der im Vergleich zu HDTV viermal so hohen Bildauflösung. Denn Fernsehen und Kino, davon ist Tomonory Aoyama überzeugt, sind zwei gänzlich unterschiedliche Medien. "Wir schauen im Wohnzimmer fern, zahlen dafür nichts und wir erfreuen uns an Nachrichten und Sportübertragungen. Kino hingegen erfüllt einen anderen Zweck. Wir müssen dafür das Haus verlassen und zahlen dafür Eintritt, um zwei Stunden lang einen Film in guter Auflösung ansehen zu können. Das ist Kino. Das ist ein anderes Medium. Warum sollte man sich im Kino mit einem Fernsehformat zufrieden geben?
Lieber Hollywood als Genf
Die Spezifikationen von 4K wurde 2005 von der "Digital Cinema Initiative", der die sieben großen Filmstudios angehören, veröffentlicht und werden seitdem ständig erweitert. Zwar ist auch das internationale Standardisierungsgremium ISO damit beschäftigt Spezifikationen für das Kino der Zukunft zu schreiben, aber im wesentlichen liegt es in den Händen der großen Hollywood-Studios welche Technik in Zukunft in den Kinos einziehen wird.
Für Tomonori Aoyama ist auch heute, rückblickend, eines klar. Er würde auch heute mit seinen Forschungsarbeiten eher nach Hollywood gehen als nach Genf zu einem internationalen Standardisierungsgremium. Aus leicht nachvollziehbaren Gründen: Erstens besitzen die Filmstudios nicht nur die Macht die Zukunft der Kinoindustrie zu beeinflussen, sondern sie haben auch das notwendige Geld, um Forschungsarbeiten zu unterstützen. " Leider" fügt Tomonori Aoyama hinzu.
Hör-Tipp
Dimensionen, Dienstag, 29. Juli 2008, 19:05 Uhr
Links
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