Diskussionen um das Staatsopernorchester
Neue Direktoren und bewährte Traditionen
Das Jahr 2007 war für die Wiener Philharmoniker ein turbulentes: Diskussionen um die Trennung von Staatsopernorchester und Philharmoniker, ein neues Führungsteam für die Wiener Staatsoper. Pressesprecher Michael Bladerer mit einem Rück- und Ausblick.
8. April 2017, 21:58
Alfred Solder im Gespräch mit Michael Bladerer
Das Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker 2008 wird von einem 83-jährigen Debütanten geleitet: von Georges Prêtre. Michael Bladerer, Orchestermitglied und Pressesprecher der Wiener Philharmoniker, erklärte in der Ö1 Sendung "Intrada", warum dieses Engagement auf den ersten Blick zwar eher überraschend gewesen sein mag, warum Prêtre aber doch eine äußerst naheliegende Wahl gewesen sei.
"Georges Prêtre ist einer derjenigen Dirigenten, die mit dem Genre 'Wiener Walzer' und der Musik von Strauß sehr verbunden ist. Er war ja sehr lange Erster Gastdirigent der Wiener Symphoniker und hat in dieser Funktion sehr oft das Konzert 'Frühling in Wien' dirigiert, wo ja das Genre Wiener Walzer gepflegt wird", so Bladerer. Daher sei diese Wahl für Insider nicht ganz so überraschend gewesen.
Agil trotz hohem Alter
"Die Tatsache, dass Prêtre bereits 83 Jahre alt ist, soll nicht darüber hinwegtäuschen, dass er unglaublich agil ist und es vom Temperament her mit allen jüngeren Kollegen aufnehmen kann", betont Bladerer. Die letzten gemeinsamen Konzerte seien unglaublich energiegeladen gewesen und hätten im Ausland für hymnische Kritiken gesorgt, so Bladerer, der seit 1999 Kontrabassist im Orchester der Wiener Staatsoper und seit 2002 Mitglied des Vereins "Wiener Philharmoniker" ist.
Das Programm sei teilweise eine Referenz an den Franzosen Prêtre. "Napoleon-Marsch", "Pariser Walzer", "Versailler Galopp", "Orpheus-Quadrille", "Die Pariserin" - das seien alles Stücke, die einen Bezug zu Frankreich hätten.
Orchester schätzt neuen Staatsoperndirektor
Eine wichtige Entscheidung für die Staatsoper und damit auch für das Staatsopernorchester fiel im Juni des Jahres 2007. Welche Erwartungen knüpft Michael Bladerer an das neue Führungsduo, an den designierten Staatsoperndirektor Dominique Meyer und an den designierten Generalmusikdirektor Franz Welser-Möst?
"Dominique Meyer ist seit Jahren Intendant im Théâtre du Champs Elysées in Paris. Wir kennen ihn in dieser Funktion sehr gut, da wir als Wiener Philharmoniker seit vielen Jahren zwei bis drei Mal pro Jahr in Paris gastieren", erzählt Bladerer. Jedes Mal, wenn das Orchester dort aufgetreten sei, habe es im Anschluss an das Konzert einen wunderbaren Empfang gegeben, den Dominique Meyer für das gesamte Orchester veranstaltet habe - "und in der Pause auch eine herrliche Bonboniere, die einen Umfang hat, dass sie vom ganzen Orchester kaum aufgegessen werden kann."
Man könne daraus durchaus schließen, dass er die Zusammenarbeit besonders schätzt und dass ihm der spezifische Klang des Orchesters besonders nahe liege, freut sich Bladerer: "Wir schätzen ihn auch als Intendanten unglaublich und sind mit dieser Wahl mehr als glücklich."
Gespräche über neuen Kollektivvertrag
Glaubt Bladerer, dass sich diese angenehme Beziehung auch im Alltag halten kann? "Ja", ist der Philharmoniker sicher. "Ich bin auch der Betriebsratsvorsitzende des Orchesters. Ich werde daher mit ihm sehr viel zu tun haben und habe auch jetzt schon sehr engen Kontakt."
Die Gespräche über einen neuen Kollektivvertrag seien "derartig konstruktiv, dass ich sehr optimistisch in die Zukunft blicke."
Keine Bedenken gegen Welser-Möst
Es wurde gemunkelt, Franz Welser-Möst sei nicht der Dirigenten-Typ, den sich die Philharmoniker beziehungsweise das Staatsoperorchester gewünscht hätten. Bladerer ist hingegen von einer gedeihlichen Zusammenarbeit überzeugt: "Ich sehe die Perspektiven ganz ganz positiv." Bladerer nennt als Beispiel jene 'Tristan'-Vorstellungen, bei denen Welser-Möst für Christian Thielemann eingesprungen ist: "Er hat damals diese Vorstellungen ohne Proben übernommen. Quasi von heute auf morgen. Er konnte dabei selber sehen, wie flexibel das Staatsopernorchester auf einen Dirigenten reagieren kann."
Die Vorstellung unter Welser-Möst sei um 20 Minuten kürzer gewesen als die Premiere unter Thielemann. "Er hat es ganz anders gemacht und das Orchester hat auf alle Anregungen von ihm spontan reagieren können und es war ein ganz großer Abend. Er weiß daher auch um die Stärken des Orchesters was Flexibilität betrifft. Er wird sicher nicht jemand sein, der darauf besteht, dass bei allen Proben und Aufführungen 100-prozentig dieselben Leute dasitzen. Denn wie gesagt: Beim 'Tristan' gab's keinen einzigen, der mit ihm eine Probe gemacht hat und es war eine Sternstunde."
Heftige Vertragsverhandlungen
Das Jahr 2007 war auch gekennzeichnet von heftigen Vertragsverhandlungen. Im Zusammenhang mit diesen Verhandlungen kam es wieder zu Diskussionen um die mögliche Trennung von Staatsopernorchester und Wiener Philharmonikern. War diese Trennungs-Thematik nur rhetorisches Muskelspiel? "Es gab Probleme in dieser Richtung", gibt Bladerer zu. "Aber im Augenblick sind wir an der konstruktiven Lösung mit Meyer und Welser-Möst bemüht." Man sei mit beiden - und der Bundestheater-Holding - in sehr konstruktiven Gesprächen.
Bladerer ist zuversichtlich, zu einer Lösung zu kommen: "Ich möchte aber diese Vertragsverhandlungen nicht in der Öffentlichkeit führen. Ich bin nicht ganz glücklich über die medialen Begleitumstände, da es sich bei einem Kollektivvertrag um eine sehr komplexe Materie handelt, die eigentlich nicht Gegenstand von öffentlichen Diskussionen sein sollte."
Substitute und der Klangstil
Hören Sie in unserem Audio das gesamte Interview mit Michael Bladerer. Die weiteren Themen: die neue Ära der Salzburger Festspiele, die im vergangenen Sommer begonnen hat, die neuen Orchestermitglieder und der eigene Klangstil des Orchesters, Wesen und Bedeutung von Substituten - und natürlich das Neujahrskonzert und die Fußball-EM.
Mehr zum Neujahrskonzert in oe1.ORF.at
Frankreich-Schwerpunkt beim Neujahrskonzert
Neujahrskonzert 2008
Hör-Tipp
Neujahrskonzert, Dienstag, 1. Jänner 2008, 11:15 Uhr
TV-Tipp
Neujahrskonzert, Dienstag, 1. Jänner 2008, 11:15 Uhr, ORF2
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