Das versteckte Leben des János B.
Das Versteck der Minerva
Eine Gedenktafel an der Linzer Landstraße inspirierte Laszlo Marton zu seinem neuen Roman. Sie ist János Batsány gewidmet, dem ungarischen Freiheitsdichter und Spracherneuerer des Vormärz, der die letzten 30 Jahre seines Lebens im Exil verbringen musste.
8. April 2017, 21:58
"Mich interessieren nicht so sehr die triumphierenden Gestalten der Kulturgeschichte und der Geschichte überhaupt, sondern diejenigen die irgendwie gescheitert sind, obwohl sie auch mehr Erfolg verdient hätten", erzählt Laszlo Marton. Und so ist auch der Protagonist in seinem neuen Roman, Johann B., ein großer Verlierer - ohne Perspektive, leer und ausgebrannt, obwohl in ihm ein revolutionärer Geist schlummert. Gerade dieser Umstand aber macht ihn für den ungarischen Autor zu einer interessanten Persönlichkeit, der er ganze 232 Seiten widmet.
Schreiben in Zeiten der Zensur
Wenn auch der Leser sehr wenig über die eigentliche Persönlichkeit des Johann B. alias János Batsány in Erfahrung bringen kann, so umso mehr über die Welt und die Zeit um ihn herum, die der Autor detailgenau recherchiert hat.
Es ist die Zeit des Vormärz in Europa, in der - unter dem Eindruck der Französischen Revolution - liberal-nationale Strömungen gegen die Wiederherstellung alter Ordnungs- und Machtverhältnisse drängen. Es ist die Zeit von Zensur und Spitzelwesen, aber auch jene von bahnbrechenden Erfindungen, wie etwa jene der Luftschifffahrt, der Daguerrotypie und neuer, revolutionärer Drucktechniken.
So öffnet Marton im Laufe des Romans behutsam kleine Zeitfenster und lässt den Leser in eine Epoche blicken, die längst der Vergangenheit angehört.
Asyl für Minerva
Martons Sprache, einfühlsam und genau übersetzt von Eva Zádor und Wilhelm Droste, spiegelt das tiefe Empfinden für den sprachlichen Zeitgeist der Romantik wider. Was sicherlich mit seiner regen Tätigkeit als Übersetzer zu tun haben mag. So übertrug er etwa Novalis' "Heinrich von Ofterdingen", Kleists "Michael Kohlhaas" und Goethes "Faust I" ins Ungarische.
Zur Zeit unserer Geschichte waren die Luftschiffe, da sie sich nicht steuern ließen, dem Spiel der Winde ausgesetzt. Wurde in dem Städtchen Wels oder in Steyr, wo es unseres Wissens nach einen Verein für Luftschifffahrt gab, ein Heißluftballon, dessen Besatzung die Luft des Ballons mit der Flamme eines etwas größeren Spiritusbrenners anheizte, hoch gelassen, so konnte dies nur geschehen, wenn man den Nordwind nicht zu fürchten brauchte.
Johann B. jedoch ist dieser Welt längst entrückt, selbst seine Frau kann ihn nicht mehr seiner Umnachtung entreißen. Da tritt Minerva auf den Plan, die Göttin der Weisheit. In einer Vision erscheint sie Johann B. und bittet um Asyl mit der Begründung, dass sie im Kopf eines Mannes zur Welt gekommen ist und jetzt im Kopf eines Mannes Asyl vor der Welt suchen muss. Doch was in Johann B.s Phantasie als Gestalt auftritt, ist in Wirklichkeit eine zerstörende Kraft - ein Gehirntumor.
"Minerva ist die Weisheit, die sich verstecken will, die wegflieht, und die die modernisierende Welt verlässt", erklärt Marton. "Und das Licht, das Licht der Aufklärung wird nicht von der Weisheit, von Minerva erfasst, sondern von einer Silberplatte, ich meine die Daguerrotypie."
Zeitfenster mit Symbolcharakter
Jede Erscheinung, jedes Zeitfenster, das der Autor für den Leser öffnet, hat nicht nur eine ganz konkrete Bedeutung, sondern auch Symbolcharakter. So steht zum Beispiel die Entdeckung der Daguerrotypie als Platzhalter für das Licht der Aufklärung. Dennoch will sich Laszlo Marton nicht als politisch aufklärerischer Autor verstanden wissen. Dafür fordert er beim Leser ganze Konzentration ein: Sie sei quasi die Eintrittskarte für seine Romane, konstatiert Márton im Interview:
"Ich muss mir immer die Frage stellen, was kann in der heutigen politischen Situation der Inhalt unseres Lebens sein, nachdem die diktatorischen Ideologien versagt haben, nachdem die Religion keine so große Rolle mehr spielen kann als früher - das war ein Erfolg oder Ergebnis der Aufklärung. Die Ökonomie oder die Politik oder diese anderen Surrogate reichen meiner Meinung nach nicht aus und ich kann nur so viel sagen: vielleicht die Weisheit."
Hör-Tipp
Ex libris, Sonntag, 21. September 2008, 18:15 Uhr
Mehr dazu in oe1.ORF.at
Buch-Tipp
Laszlo Marton, "Das Versteck der Minerva", aus dem Ungarischen übersetzt von Eva Zádor und Wilhelm Droste, Folio Verlag