Die Entstehungsgeschichte der "Meistersinger"
Richard Wagners Erfolgsoper
Wagners "Meistersinger" wurden bei der Uraufführung gefeiert - ein für den zu Lebzeiten oft missverstandenen Wagner ein nicht allzu häufig vorkommendes Ereignis. Wagner durfte den Jubel sogar aus der Loge des Königs entgegennehmen.
8. April 2017, 21:58
Christian Thielemann im Gespräch mit Alfred Solder
Nicht nur Richard Wagner stellte den Schusterpoeten Hans Sachs in den Mittelpunkt einer Oper, sondern auch Albert Lortzing. Er hatte bereits 1840 in Leipzig seine Oper "Hans Sachs" zur Uraufführung gebracht - und es darf als sicher angenommen werden, dass Richard Wagner diese Oper seines Kollegen gekannt hat.
Schon Jahre zuvor hatte sich jedoch im Leben von Richard Wagner ein Ereignis zugetragen, das als das erste Dokument der Entstehungsgeschichte der "Meistersinger von Nürnberg" angesehen werden darf: eine nächtliche Schlägerei, ganz so wie sie Wagner dann später im zweiten Finale der Meistersinger auf die Bühne bringen sollte.
Schreien und Toben
In Wagners Autobiographie "Mein Leben" kann man über dieses Ereignis folgendes lesen:
Es entstand eine Verwirrung, welche durch Schreien und Toben, sowie durch unbegreifliches Anwachsen der Massen der Streitenden bald einen wahrhaft dämonischen Charakter annahm. Mir schien es, als ob im nächsten Augenblick die ganze Stadt in Aufruhr losbrechen würde, und ich glaubte wirklich, zum Zeugen einer Revolution werden zu müssen, von der kein Mensch einen wahrhaftigen Anlass zu begreifen imstande war. Da plötzlich hörte ich einen Fall - und wie durch Zauber stob die ganze Menge nach allen Seiten auseinander.
Ein frühes Erlebnis im Leben von Wagner, das seinen Niederschlag in den "Meistersingern von Nürnberg" gefunden hat.
Kapellmeister an der Dresdner Hofoper
Die eigentliche Beschäftigung mit dieser Oper begann jedoch erst rund zehn Jahre später - während eines Kuraufenthalts in Marienbad im Sommer 1845. Wagner war damals Kapellmeister an der Dresdner Hofoper, wo drei Jahre zuvor seine Oper "Rienzi" eine gefeierte Uraufführung erlebt und 1843 "Der fliegende Holländer" eine nicht mehr ganz so enthusiastische, aber dennoch freundliche Aufnahme gefunden hatte und nun die erste Aufführung des "Tannhäuser" im Oktober 1845 bevorstand.
Außerdem war Wagner einmal nicht - wie zuvor und danach recht häufig - von Gläubigern bedrängt: Er konnte ungehindert seinen künstlerischen Ideen nachgehen. Während dieses Sommers vollendete Wagner den Prosaentwurf für seine Oper "Lohengrin", kam aber auch bei seiner Lektüre mittelalterlicher Dichter und Epen zum ersten Mal mit den Gestalten des "Parsifal" in Berührung - und er schrieb eben den ersten Prosaentwurf zu seiner einzigen komischen Oper "Die Meistersinger von Nürnberg". Wobei diese Angabe nicht ganz korrekt ist: Zuvor hatte sich Wagner bereits mit seinem "Liebesverbot" am komischen Genre versucht, hat sich aber später von diesem Jugendwerk distanziert.
Wer war Hans Sachs?
Im ersten Prosaentwurf tragen die Personen zwar noch keine Namen, die Grundelemente der späteren "Meistersinger" sind aber bereits vorhanden. Wer war eigentlich dieser Hans Sachs? Er gehört fraglos zu den bekanntesten literarischen Figuren des 16. Jahrhunderts. Als Schustergeselle wanderte er einige Jahre quer durch Deutschland, diente vorübergehend am Innsbrucker Hof von Kaiser Maximilian I. und erhielt nach seinem Besuch zahlreicher Singschulen des Landes eine Ausbildung im Meistergesang.
1517 ließ er sich endgültig im heimatlichen Nürnberg nieder, wurde Meister und aktives Zunftmitglied der "Meistersinger". Neben seiner Schuhmacher-Arbeit dichtete er bis ins hohe Alter mehr als 4.000 Meisterlieder, 85 Fastnachtsspiele, 1.800 Spruchgedichte, 63 Tragödien, 65 Komödien sowie Sprüche, Prosadialoge, Historien, Schwänke und Fabeln.
Wiederentdeckung in späteren Zeiten
Zu Lebzeiten galt Sachs als berühmter Poet, wurde dagegen während des Barock und der Aufklärung gering geschätzt und vergessen. In späteren Zeiten entdeckte man ihn wieder und machte ihn im Zug um sich greifender Mittelalterverehrung zu einem gefeierten Dichter.
Besonders Goethes Gedicht "Hans Sachsens poetische Sendung" und Richard Wagners Oper "Die Meistersinger" trugen zu seiner Popularität bei.
"Meistersinger"-Projekt ruhte
Nach dem ersten Prosaentwurf sollte Wagners "Meistersinger"-Projekt aber erst einmal 16 Jahre lang ruhen. Der "Ring des Nibelungen" war inzwischen bis zum zweiten Akt des "Siegfried" gediehen und auch "Tristan und Isolde" war entstanden - erst im November 1861 entschied sich Wagner für die Ausführung der "Meistersinger".
In Wien studierte er Johann Christoph Wagenseils Buch "Von der Meister-Singer Holdseligen Kunst" und schrieb noch im gleichen Jahr einen zweiten und dritten Prosaentwurf. Seinem Verleger Schott versprach er die baldige Fertigstellung der Oper und ließ sich immense Summen für ein Werk zahlen, dessen Fertigstellung für den Verlag in keiner Weise garantiert war.
Wünsche nach Vorauszahlungen
Wagners fortwährenden Wünschen nach Vorauszahlungen konnte jedoch selbst ein namhaftes Verlagshaus nicht dauerhaft stattgeben. "Den mitgeteilten Erguß einer ihrer schlaflosen Nächte, bester Herr Wagner, muß ich mit Stillschweigen übergehen", so der Verleger Schott in einem Brief. "Überhaupt kann ein Musikverleger ihre Bedürfnisse nicht bestreiten: dies kann nur ein enorm reicher Bankier oder ein Fürst, der über Millionen zu verfügen hat".
Und dieser Fürst trat 1864 - nach Jahren der Unrast und Geldnöten - in Wagners Leben in Gestalt des jungen Bayernkönigs. Ludwig II. drängte Wagner vor allem zur Fertigstellung der "Ring"-Tetralogie, womit abermals die "Meistersinger" zurückgestellt wurden. Doch schließlich wurde die Oper 1867 in Triebschen am Vierwaldstättersee vollendet.
Trost für betrogenen Ehemann
Als Muse war zu diesem Zeitpunkt längst Cosima von Bülow, geborene Liszt in Wagners Leben getreten - Wagners spätere Gattin. Als Trost für deren betrogenen Mann Hans von Bülow erwirkte Wagner beim bayerischen König dessen Ernennung zum Hofkapellmeister - und Hans von Bülow sollte auch die Uraufführung der "Meistersinger" im Juni 1868 dirigieren. Dabei durfte Wagner - entgegen aller Etikette - den Jubel des Publikums aus der Loge des Königs entgegennehmen.
Mit Enthusiasmus wurde das neue Werk gefeiert - ein für den zu Lebzeiten oft missverstandenen Wagner ein nicht allzu häufig vorkommendes Ereignis. Umso merkwürdiger erscheint die Reaktion des Komponisten auf all den Jubel. An den bayerischen König schrieb er ganz resignativ: "Und nun erfahren sie, dass ich an diesem Abend zugleich das ganze, volle Elend meines Lebens empfand. In München hatte ich einen Theatererfolg, das ist alles, was von meinem Werke nachlebt! Nur mit Schmerz gedenke ich seiner!"
Schneller Erfolg an Europas Bühnen
Wenn die "Meistersinger" auch nicht das ursprünglich geplante, einfach zu realisierende Werk geworden waren, sondern eines der umfangreichsten der gesamten Opernliteratur, so wurde die Oper dennoch schnell an vielen Bühnen Europas nachgespielt - wesentlich schneller als viele andere musikdramatische Werke Wagners.
Im Jahr nach der Uraufführung ging Wagners Oper bereits in Dresden, Dessau, Karlsruhe, Mannheim und Weimar über die Bühne, ein Jahr später auch in Berlin, Leipzig - und in Wien, wobei das äußerst lange Werk damals selten ungekürzt gespielt wurde. In Wien realisierte etwa erst Gustav Mahler 1898 die erste strichlose Aufführung an der Hofoper.
Inszenierung aus dem Jahr 1975
Nach dem zweiten Weltkrieg konnte man die "Meistersinger von Nürnberg" in Wien erstmals 1949 im Theater an der Wien erleben, die Oper gehörte aber auch zu den Werken des Opernfestes, mit dem 1955 die Staatsoper wiedereröffnet wurde. Diese Produktion wurde später nochmals neueinstudiert und hielt sich bis 1972 im Spielplan. 1975 inszenierte dann Otto Schenk in Bühnenbildern von Jürgen Rose - eine Produktion, die sich bis heute im Repertoire der Staatsoper befindet.
Man könnte leicht annehmen, dass der Erfolg von Wagners "Meistersingern" die vorangegangene "Hans Sachs"-Oper von Albert Lortzing von den Spielplänen verdrängt hat, Lortzings Oper war aber schon vor der Uraufführung von Wagners Werk nahezu vollständig in Vergessenheit geraten - und daran konnte auch vereinzelte Wiederbelebungsversuche und Bearbeitungen kaum etwas ändern.
Mehr dazu in oe1.ORF.at
Hör-Tipp
Richard Wagner: "Die Meistersinger von Nürnberg", Samstag, 12. Jänner 2008, 17:00 Uhr
Links
Wiener Staatsoper
Projekt Gutenberg - Libretto zu "Die Meistersinger von Nürnberg"