Liebessehnsucht, von Franzobel in Form gebracht
Liebesgeschichte
Das Thema der Liebe und ihre Verirrungen beherrscht das Geschehen in Franzobels neuem Roman. Diese "Liebesgeschichte" ist aber auch eine Liebeserklärung an die Sprache, weil durch sie die Doppelzüngigkeit der Liebessehnsucht ihren Ausdruck findet.
8. April 2017, 21:58
Dass Liebe mit Herzschmerzen, Weinkrämpfen, Tobsuchtsanfällen und wildester Raserei zu tun haben kann, weiß man - wenn nicht aus eigener Erfahrung, so dann aus der Literatur. Mindestens drei Viertel der Weltliteratur besteht aus Liebesgeschichten. Und eine solche Erzählung, die tatsächlich den Titel "Liebesgeschichte" trägt, hat nun der österreichische Autor Franzobel veröffentlicht. Wie man sieht, lässt auch ihn diese Antriebskraft des menschlichen Seins keineswegs kalt:
"Ich glaub' der Grundantrieb für fast alles ist eigentlich der, dass man irgendwo geliebt wird oder Lob erhält", meint er im Gespräch mit Andreas Puff-Trojan. "Deswegen ist das so ein seltsames Vakuum, wo man sehr viel reininterpretieren kann. Bis hinauf natürlich dann zur göttlichen Liebe. Wahrscheinlich ist die Religion nichts anderes als eine übertragene Liebessehnsucht."
Liebesunfälle rundum
Franzobel ist sicher ein äußerst produktiver Autor. Er geizt nicht mit Romanen, Theaterstücken und Lyrik. Doch nach seinem Opus magnum, "Das Fest der Steine" aus dem Jahr 2005, wusste Franzobel nicht so recht weiter.
"Ich hab' nach dem 'Fest der Steine' das nächste Großprojekt begonnen", erzählt Franzobel. "Und dann hat der Verleger, Michael Krüger, gesagt: Schreib' doch ein bisserl was Kleineres. Und ich hab' ihn dann so angeschaut: Und was soll ich denn schreiben deiner Meinung nach? Und er hat dann gesagt: Na schreib' doch was über die Liebe. Und parallel dazu in meinem ganzen Freundeskreis und Umfeld hat es sehr viele Liebesunfälle und Tragödien gegeben. Und man kennt dann das teilweise auch aus der eigenen Geschichte. Dann war ich sehr inspiriert in dieser Thematik."
Glück bei den Frauen
Besonders wichtig bei Liebesgeschichten ist es zu erfahren, wer da rasend liebt oder zumindest vorgibt, leidend zu lieben. Franzobels Liebesheld heißt Alexander Gansebohn und ist Arabischübersetzer.
Alexander, ein graziler junger Mann von 34 Jahren, blutarm, nervös, hohlwangig, mit zartgliedrigen Händen und einer mäßig vorstehenden, leicht aufwärts gebogenen Nase im teigigen Gesicht.
Alexander, der stets um Stil bemüht war, bedacht darauf, dass man sah, wer er war, einer, der die Welt aus ihren Angeln hob. Alexander keuchte.
Zwei Sätze. Der eine, mehrere Zeilen lang, beschreibt den Helden und sagt: Das ist kein schöner Mann. Und trotzdem hat Alexander Glück bei den Frauen. Der andre Satz besteht aus zwei Worten und sagt: Der Held keucht. Den ganzen Roman hindurch wird Alexander keuchen. Er keucht, weil er liebt und dabei in wilde Raserei gerät. Wer aber tobt, dem kommt das Stil- und Maßvolle abhanden - die Welt ordentlich umkrempeln kann er dennoch. Alexander tut das.
Ein "egomanischer Sturschädel"
Alexander ist mit Marie verheiratet, sie haben zwei Töchter. Rasend verliebt ist der Held allerdings in seine Schulfreundin Dunja. Als Marie von der Affäre erfährt, stürzt sie sich mit den Kindern aus dem Fenster. So denkt zumindest Alexander. Tatsächlich hat seine Frau des Nachts bloß drei Schuttsäcke aufs Straßenpflaster plumpsen lassen. Alexander wiederum flieht zu seiner Geliebten Dunja, die ihm erklärt, dass sie einen anderen liebt. Es ist ein junger Maler. Als dieser auf der Bildfläche erscheint, erschießt ihn Alexander im Haschischrausch, einschließlich dessen Dänischer Dogge. Doch damit ist die Liebesraserei noch lange nicht zu Ende. Denn Franzobels Held ist und bleibt ein "egomanischer Sturschädel", wie Franzobel schreibt.
Es wäre kein Buch von Franzobel, wenn darin Sexszenen, ein pornographisches Vokabular und eine glasklare Machomechanik im Denken und Handeln ausgespart blieben. Franzobel will bewusst politisch unkorrekt erzählen. Sein Held Alexander verwechselt, wie so mancher Zeitgenosse, Sex mit Liebe. Er glaubt, seine sexuellen Begierden seien Ausdruck einer Liebesfähigkeit. Ja, im Roman gibt es sogar ein schrilles Loblied auf die Materie, das den verliebten Menschen aller Romantik beraubt. Was ist Liebe, rein materiell gesehen? Einfach den anderen "rumkriegen und flachlegen."
Selbstgespräche mit Gott
Die andere Ebene ist zart angedeutet: Alexander führt manchmal Gespräche mit Gott. In Wahrheit sind es bloß Selbstgespräche eines "egomanischen Sturschädels". Einmal blickt Alexander in der Wiener Michaelerkirche auf das Fresko des Jüngsten Gerichts und entdeckt Reliefe, die einen Finger, eine Schlange, einen Geier und den Leviathan zeigen. Diese vier Bilder sind aber auch die Unterbegriffe der vier Kapitel, in die Franzobel seinen Roman eingeteilt hat.
Die Oberbegriffe lauten: "Cholerik", "Melancholie", "Sanguinik", "Phlegma". Das sind die vier Hauptsünden, die Alexander im Roman begeht. Und dafür wird der Held der "Liebesgeschichte" auch zu guter Letzt bestraft: Alexander sitzt als Möchtegern-Terrorist in einem Gefängnis in Jerusalem. Da ereilt ihn der Anruf seiner tot geglaubten Frau Marie. Und was sie ihm zu sagen hat, macht Alexander zu einem stattlichen, gehörnten Liebesesel.
Aus dem Alltag entrückt
Franzobels "Liebesgeschichte" reicht nicht ganz an die Vielstimmigtkeit seines letzten Romans "Das Fest der Steine" heran. Das Thema der Liebe und ihre Verirrungen beherrscht allein das Geschehen. Und dennoch ist Franzobels neuer Roman lesenswert, weil die Phantasie des Autors einen verzückt und aus dem Alltag entrückt. Diese "Liebesgeschichte" ist auch eine Liebeserklärung an die Sprache, weil durch sie die Doppelzüngigkeit der Liebessehnsucht ihren Ausdruck findet: Hoffnung und Maßlosigkeit, Traum und Wirklichkeit, Melancholie und Ironie.
Mehr zu Franzobel in oe1.ORF.at
Der Dichter unter der Decke
Uraufführung von "Zipf"
Zur Radio-Ratio
Hör-Tipp
Ex libris, Sonntag, 13. Jänner 2008, 18:15 Uhr
Mehr dazu in oe1.ORF.at
Buch-Tipps
Franzobel, "Liebesgeschichte", Paul Zsolnay Verlag
Franzobel, "Das Fest der Steine oder die Wunderkammer der Exzentrik", Zsolnay Verlag
Mehr dazu in oe1.ORF.at