Die gesellschaftlichen Dimensionen des Bebop

Bebop

Ab Mitte der 1940er Jahre war in der Musik nichts mehr so, wie es war. Die melodischen und harmonischen Möglichkeiten wurden massiv ausgeweitet, die Rhythmik wurde komplizierter, die gesellschaftliche Dimension des Faktors Musik stieg erheblich.

Entstanden ist der Bebop etwa zwischen 1941 und 1944, bis heute gilt er als Beginn des modernen Jazz. Sowohl auf rhythmischem, als auch auf harmonischem und melodischem Gebiet schuf dieser Stil die musiktheoretische Grundlage für alle Jazzrichtungen, die danach kamen.

Die musikalischen Veränderungen, die der Jazz im Zuge der Entwicklung vom Swing der 1930er Jahre zum Bebop der 1940er und frühen 1950er Jahre durchlief, waren ungleich höher als jede andere stilistische Veränderung davor und danach. Der Bebop schuf ein komplett neues Jazzverständnis, das bis heute anhält. Davor, im New-Orleans-Jazz, im Dixieland und Swing galt Jazz als populär, speziell der Swing der 1930er Jahre war die meistgehörte Musik seiner Zeit, mit dem Bebop wurde der Jazz zu einer Kunstform, die nicht mehr primär der Unterhaltung diente, der Jazz wurde zu einer Musik nicht nur für Clubs, sondern auch für Konzertsäle.

Die Hauptprotagonisten des Bebop

Der Altsaxofonist Charlie Parker und der Trompeter Dizzy Gillespie waren die Hauptprotagonisten des Bebop. Mehr noch, beide personifizierten diese Musik - und das tun sie eigentlich bis heute.

Der Sänger und Bandleader Billy Eckstein, in dessen Orchester beide Musiker während des Jahres 1944 engagiert waren, sagte einmal: "Bird war verantwortlich für das wirkliche Spielen dieser Musik, mehr als irgendjemand sonst, aber dafür, dass sie niedergeschrieben wurde, war Dizzy verantwortlich". Und der deutsche Publizist, Musikproduzent und Buchautor Joachim Ernst Berendt bemerkte in seinem Jazzbuch:

Dizzy Gillespie war zunächst der meistgenannte Musiker des Bebop. Gewiss hat er dieser Musik nicht die schöpferischen Impulse gegeben, die von Charlie Parker ausgingen, aber er hat ihr den Glanz und die Kraft gegeben, ohne die sie die Welt nie erobert hätte.

Die Herkunft des Wortes Bebop

Über die Herkunft des Wortes Bebop ist immer wieder diskutiert worden. Fest steht, dass die Bezeichnung einen lautmalerischen Ursprung hat, abgeleitet von einem typischen melodischen Merkmal dieser Musik: zweier kurz gespielter Noten, die zusammen das Intervall der verminderten Quinte, des sogenannten "Tritonus" ergeben. Diese Tonfolge ist eine Art Schlüssel zu einem Klang, der von vielen Menschen als nervös, rasend, als kompliziert, ja manchmal auch heute noch als avantgardistisch klassifiziert wird.

Joachim Ernst Berendt schreibt in seinem Jazzbuch, dass die Tonbewegungen des Bebop wie "melodische Fetzen" wirkten. Und weiter:

Jede unnötige Note wurde fortgelassen. Alles wurde auf das äußerste Maß zusammengepresst. Alles, so hat einmal ein Bebop-Musiker gesagt, wird fortgelassen, was sich von selbst versteht. Viele dieser Phrasen werden darüber zu Chiffren für größere musikalische Abläufe. Sie sind das, was man in der Stenographie "Kürzel" nennt. Man muss sie hören, wie man Stenogramme liest. Indem man aus wenigen hastigen Zeichen ordentliche Zusammenhänge schafft.

Harlem als Bebop-Zentrum
Entwickelt hat sich der Bebop vor allem in Harlem, dem schwarzen Ghetto von Manhattan. Im Lokal "Minton's Playhouse" trafen einander ab 1941 mehrere Musiker, die schon davor unabhängig voneinander neue Ideen entwickelt hatten oder gerade dabei waren, das zu tun. Darunter waren der Pianist Thelonious Monk, der Schlagzeuger Kenny Clarke, der Gitarrist Charlie Christian sowie Dizzy Gillespie und Charlie Parker, der zuvor mit seiner neuen Spielweise schon im Orchester von Jay McShann aufgefallen war.

Über mehrere Jahre hindurch kreierten diese Musiker durch ihre Experimente bei zahlreichen Jamsessions diesen neuen Jazzstil, der ab 1944/45 in den Clubs der legendären 52nd Street Einzug hielt und von dort aus die Musikwelt eroberte. Allerdings nicht ohne Widerspruch: Der Trompeter und Sänger Louis Armstrong, einer der bekanntesten, wenn nicht der bekannteste Musiker des New Orleans Jazz, meinte einmal: "Bebop ist die leichte Art, sich zu drücken. Anstatt Töne in der Art zu halten, wie sie gehalten werden sollen, spielen sie einfach viele kurze Töne. Sie suchen sich die leichteste Lösung. Sie werden nicht viele unter diesen Cats finden, die einen anständigen Chorus blasen können. Sie haben es niemals richtig gelernt. Es ist nichts Solides. Es kommt nicht aus dem Herzen, wie es echte Musik tun sollte".

Vom Bebop überfallen
Als kleine Entschuldigung für die Bebopkritiker von damals sei gesagt, dass die breite amerikanische Öffentlichkeit in den Jahren 1944/45 vom Bebop quasi überfallen wurde. Ein jahrelanger Aufnahmeboykott der Musikergewerkschaft gegen die Schallplattenindustrie hatte zuvor bewirkt, dass das Publikum den fließenden Übergang vom Swing zum Bebop, der während der frühen 1940er Jahre stattfand, nicht miterleben konnte, außer in einigen Clubs von Harlem wie dem erwähnten Minton's Playhouse.

Die Plattenproduktionen der damaligen Zeit hörten beim reinen Swing auf und fingen mit dem reinen Bebop wieder an. Und da war der Klangunterschied beträchtlich.

Gegen Rassendiskriminierung
Es gab aber noch einen anderen Grund für die anfängliche Ablehnung des neuen Jazzstils: Viele Bebopmusiker kämpften gegen Rassendiskriminierung und Ausbeutung - nicht mit Gewalt, aber symbolisch und mit Worten. Als Reaktion auf die anfängliche Ablehnung ihrer Musik durch das vornehmlich weiße Publikum drehten sie diesem bei Konzerten oft demonstrativ den Rücken zu und prägten so den Begriff des "musician's musician", des Musikers, der eben nur für andere Musiker spielt.

Das von Dizzy Gillespie geprägte Erscheinungsbild mit Baskenmütze, Sonnenbrille und Kinnbärtchen war für manche Musiker ebenfalls ein Mittel zur Abgrenzung. Dizzy Gillespie wiederum nahm in seiner von Walter Richard Langer ins Deutsche übersetzten Autobiografie "To Be Or Not To Bop" zum Vorwurf Stellung, die Bebop-Musiker hätten sich unpatriotisch verhalten:

Das ist verdammt richtig. Wir weigerten uns, Rassismus, Armut oder wirtschaftliche Ausbeutung zu akzeptieren und ein unkreatives, eintöniges Leben zu führen, aber daran war nichts Unpatriotisches. Wenn Amerika sich nicht an das hielt, was in seiner Verfassung steht, und uns nicht als Menschen respektierte, dann war der 'american way of life' für uns nichts weiter als ein Haufen Mist. Und sie stellten es beinahe als unamerikanisch hin, unsere Musik zu mögen.

Modedroge Heroin
In einem Punkt unterschied sich Dizzy Gillespie von den meisten anderen Musikern des Bebop. Er nahm keine Drogen, zumindest keine harten wie etwa Heroin. Diese Droge überschwemmte in den 1940er und 1950er Jahren New York geradezu, vor allem die schwarzen Ghettos. Es gab immer Gerüchte, das wäre bewusst gesteuert gewesen, um die afroamerikanische Bevölkerung besser kontrollieren zu können.

Fest steht, dass viele Bebopmusiker der Verlockung nicht widerstanden und heroinsüchtig wurden, zum Beispiel Miles Davis, der seine Sucht überwand, bis zum damals neuen Hoffnungsträger an der Trompete Fats Navarro, der 1950 als 25-Jähriger daran starb. Auch Charlie Parker starb daran, 1955 im Alter von nur 34 Jahren. "Bird lives!" stand bald darauf auf vielen Hausmauern New Yorks.

Hör-Tipp
Radiokolleg, Montag, 14. Jänner bis Donnerstag, 17. Jänner 2008, 9:45 Uhr