Dieter Hildebrandt, der Chefkritiker
"Es kann kein Zufall sein, dass ich 80 bin. Schon lange habe ich es kommen sehen. Meine Fluchtversuche hatten keinen Erfolg", bekennt Dieter Hildebrandt und hält eine Rückschau auf mittlerweile fünf Jahrzehnte im Dienste der Satire.
8. April 2017, 21:58
Dieter Hildebrandt schaut Sport.
2007 hat er seinen 80. Geburtstag gefeiert: Dieter Hildebrandt. Seit 50 Jahren macht er Kabarett, lange Zeit war er der dienstälteste deutsche Fernsehkabarettist. Alle Skandale der Republik brachte er auf die Bühne. Zuletzt hat der Chefkritiker sein neues Buch herausgebracht: "Nie wieder 80".
"Ich bin immer noch so ein unruhiger Typ, mir gefällt das einfach", sagt Hildebrandt. "Und ich habe jeden Tag, wenn ich wo hinfahre, immer noch zwei bis drei Stunden Zeit, um mir das, was in den Zeitungen steht, was ich gehört habe und was mir so durch den Kopf geschossen ist, zu formulieren."
Soap mit Familie Hildebrandt
Die Auswüchse der Fernsehunterhaltung hat der Kabarettist oft und gerne in seinen Texten verarbeitet. Einmal kreierte er eine Geschichte, in der sich das Ehepaar Hildebrandt - sozusagen als unkonventionelle Form der Altersvorsorge - mit Haut und Haaren dem Fernsehen ausgelieferte.
Ihr Haus wurde an eine Produktionsfirma namens ORA-TV vermietet und gemeinsam mit seiner Frau Renate sah sich Dieter Hildebrandt als Hauptdarsteller der eigenen Container-Soap, als neue Fernsehfamilie, deren ungeschminkter Alltag in die Wohnzimmer anderer Leute übertragen werden soll.
"Das Fernsehen belegt unsere Tage, das Fernsehen belegt die Bilder unserer Kinder, das Fernsehen belegt unsere Freizeit, das Fernsehen vernichtet viele Möglichkeiten, etwas Kreatives zu tun", meint Hildebrandt. "Das sind die negativen Folgen dieses Apparats, dieser Institution. Und wenn in dieser Institution Leute beteiligt sind, die dieses dann ausnützen, um die Menschen nun vollends zum Spaß zu bringen und nun so gar nicht mehr von dem alten Auftrag, von dem Kulturauftrag und dem Informationsauftrag mehr erfüllen möchten, dann muss ich einfach etwas dagegen sagen, sonst zerreißt es mich".
Sieben Quoten, sieben Zoten
Zu Wort hat sich Dieter Hildebrandt schon 1955 gemeldet. Mit der Studentengruppe "Die Namenlosen" begann er seine Laufbahn als Kabarettist in München-Schwabing. Ein Jahr später gründete er gemeinsam mit Sammy Drechsel die legendäre "Münchner Lach- und Schießgesellschaft", der er als Ensemblemitglied bis 1972 die Treue hielt.
Im Herbst 1973 lernte Dieter Hildebrandt einen österreichischen Kollegen kennen: Werner Schneyder. Bereits ein halbes Jahr später standen die beiden gemeinsam auf der Bühne. Über acht Jahre sorgte das Duo Schneyder/Hildebrandt in Liedern und Conferencen für satirische Kommentare zum Zeitgeschehen.
Vorleser der eigenen Texte
Ab 1982 war Dieter Hildebrandt als Kabarettist wieder solistisch unterwegs. Schon einige Zeit vor seinem Ausscheiden aus dem Fernsehen brach für ihn auch auf andere Ebene eine neue Ära an: Er wurde auf der Bühne zum Vorleser seiner satirischen Texte. Doch das politische Geschehen verleitet ihn dann doch, immer wieder in das Fach des extemporierenden Kabarettisten zurückzukehren.
"Ich kann diese sieben Tage, sieben Knochen, sieben Quoten, Pointen, Zoten... ich kann diese Witze nicht mehr vertragen, denn es handelt sich um Witze", so Hildebrandt. "Das ist ja der Unterschied: Die Kabarettisten erzählen Geschichten und die Geschichten haben Pointen oder sie haben keine. Und die Pointen müssen nicht immer komisch sein. Eine Pointe heißt, etwas auf den Punkt bringen, das bedeutet nicht, Menschen direkt zum Lachen zu bringen. Das passiert manchmal, und hoffentlich häufig, aber es ist nicht das Ziel. Das Ziel ist etwas zu treffen, etwas zu sagen, was jemanden verblüfft, überrascht, bestärkt, tröstet und wo die Formulierung eine Hilfe sein muss."
Pointenreiche Kommentare
Etwas zu sagen, was sein Publikum überrascht und zumeist mitten in das Zentrum des Übels trifft: In dieser Disziplin ist Dieter Hildebrandt virtuos. Freundlich, verschmitzt und gänzlich ohne Aufgeregtheiten versteht er es, das Zeitgeschehen pointenreich zu kommentieren. Er selbst bleibt dabei stets in ironischer Distanz zu den Zielen seiner Satire. Mit einem gesunden Misstrauen gegenüber dem Volksmund wie auch gegenüber Politik und Industrie hat er sich immer wieder der Vision von einem besseren Zusammenleben verschrieben.
"Man wird also einen neuen Beruf erfinden, den Verantwortungsträger", mokiert sich Hildebrandt. "Das kann man an der Universität lernen, Verantwortung tragen, und wenn irgend jemand gebraucht wird für eine Schweinerei, dann ruft man an: Könnten Sie nicht einen Verantwortungsträger schicken, und dann schickt man einen Verantwortungsträger rüber, und diese Leute werden immer gut verdienen, nämlich am Tragen der Verantwortung."
Hör-Tipps
Tonspuren, Freitag, 3. Oktober 2008, 22:15 Uhr
Contra, jeden Sonntag, 22:05 Uhr
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