Gluck-Double Antonio Salieri
Salieri als Ghostwriter
Eklat in Paris: Die Opernzirkel bejubeln das in der Opéra uraufgeführte Opus von Christoph Willibald Gluck, dann aber legt Gluck die Karten auf den Tisch. Die Musik zu "seinen" "Les Danaides" stammt von einem jungen Kollegen: Antonio Salieri.
8. April 2017, 21:58
Ausschnitte aus "Les Danaides"
Der Wiener Mozart-Konkurrent Salieri ist in unserem Opern-Bewusstsein zumindest verankert. Aber der Pariser Gluck-Ziehsohn Salieri? Dabei haben "Les Danaides" 1784 in Paris für eine Sensation gesorgt. Es war zunächst nur eine Fußnote in Christoph Willibald Glucks Pariser Vertrag: Falls er - immerhin schon an die 70, einen Schlaganfall hatte er hinter sich - verhindert sein sollte, würde die Stunde seines Assistenten schlagen, eines gewissen Maestro Salieri aus Wien.
"Les Danaides" hatten danach als Gluck-Oper, mit, wie kolportiert wurde, gewissen bescheidenen Salieri-Zutaten und unter Salieris Leitung, Premiere. Paris feierte das Werk als grandiose Fortsetzung von Glucks früheren französischen Arbeiten, bis Gluck selbst in einem Zeitungsartikel die Bombe platzen ließ: Keine Note in "Les Danaides" sei von ihm, alles von Antonio Salieri. Dass Salieri sekundierte, er hätte die Partitur "ganz unter Glucks Aufsicht" geschrieben, "geführt von seinem Licht und erleuchtet von seinem Genie", versteht sich von selbst. Hatte das Pariser Publikum von 1784 so schlechte Ohren? Nein, Salieri hatte bei Gluck so gut zugehört!
Fantastisch genug für Hector Berlioz
Der junge deutsche Dirigent Michael Hofstetter hat als Nachfolger von Langzeit-Intendant Wolfgang Gönnenheim Antonio Salieris "Danaides" mit ihrer blutrünstigen Handlung um Massenmord, Dämonen, Furien 2006 bei den Ludwigsburger Schlossfestspielen herausgebracht, mittlerweile ist die Produktion auf CDs nachzuhören.
"Diejenigen, die in der Erwartung standen, ein schreckliches Schauspiel zu sehen zu bekommen, sind in Erstaunen versetzt und überrascht worden, mehr Feste als Entsetzen darin anzutreffen", wurde nach der Pariser "Danaides"-Premiere mit Genugtuung notiert. Für die Ohren des jungen Hector Berlioz war Salieris Musik zu alldem fantastisch genug: Er entschloss sich nach dem Hören der "Danaides", selbst Komponist zu werden.
In Trofonios Zaubergrotte
Antonio Salieri war zwar gebürtiger Italiener und wuchs auch künstlerisch mit der italienischen Seria-Oper der Zeit auf, mit ihren Pietro-Metastasio-Libretti, mit der strikten Arien-Rezitativ-Abfolge. Dass er aber in der Phase, in der er in Wien zum (in der Hierarchie der Hofmusik stärker verankerten) Mozart-Konkurrenten wurde, auch ganz anders konnte, hat vor kurzem Christophe Rousset mit seinem Originalklang-Ensemble "Les Talens Lyriques" bewiesen. "La grotta di Trofonio" heißt das Stück mit den den Rahmen der opera buffa an vielen Stellen sprengenden Klangfarben-Spielereien, mit dem Salieri 1785 in Wien in vielen Details Mozarts "Cosi fan tutte" vorweggenommen hat.
Zwei Sopran-Tenor-Paare, eines ernst, eines locker, stehen vor der Heirat. Die Männer gehen zum Zauberer Trofonio um Rat - und kommen völlig wesensverändert zurück. Die Paare passen nun nicht mehr zusammen, worauf auch die Frauen zu Trofonio marschieren, mit ihnen das Gleiche passiert und das Durcheinander komplett ist. Übrigens: In der Musiksammlung der Wiener Nationalbibliothek liegen ein paar Nummern von Antonio Salieris dann abgebrochener Vertonung des da-Ponte-Librettos "Cosi fan tutte" - ebenfalls vor Mozart.
Diana Damrau mit Wiener Salieri-Archivschätzen
Es ist noch keine Salieri-"Renaissance", die sich da bemerkbar macht, aber allmählich bekommt das Bild dieses für das späte 18. Jahrhundert wesentlichen Komponisten mehr und mehr Farben. Den Anstoß dazu hat - wieder einmal! - Cecilia Bartoli gegeben, mit ihrem Salieri-CD-Album von 2003.
Auch Diana Damrau, die von New York bis Wien gefeierte Koloratursopranistin aus Franken, hat in ihrem jüngsten Solo-Recital Arien von Salieri aufgenommen, unter anderem aus der "Europa riconosciuta", mit der der 28-Jährige 1778 die Mailänder Scala eröffnen durfte. (Riccardo Muti hat dieses Werk 2004 in Mailand wieder dirigiert, schon damals mit Diana Damrau in der weiblichen Hauptrolle.)
Kuriosität aus Wien
Eine Kuriosität auf Diana Damraus CD stammt ebenfalls aus einem Wiener Musikarchiv: eine italienische Arie aus Salieris einzigem deutschen Singspiel "Der Rauchfangkehrer", die sich in den Sammlungen der Gesellschaft der Musikfreunde gefunden hat, ohne dass einstweilen die Hintergründe klar wären. Hier die Musiker und Musikerinnen, dort die Musikforscher und Musikforscherinnen: Beide sind noch lange nicht "fertig" mit Salieri.
Hör-Tipp
Apropos Oper, Donnerstag, 17. Jänner 2008, 15:06 Uhr
CD-Tipps
Antonio Salieri, "Les Danaides", Orchester der Ludwigsburger Schlossfestspiele, Michael Hofstetter, Oehms Classics OC909
Antonio Salieri, "La grotta di Trofonio", Christophe Rousset, Les Talens Lyriques, Christophe Rousset, Sound Arts 170868
Antonio Salieri, "The Salieri Album", Cecilia Bartoli, Orchestra of the Age of Enlightenment, Adam Fischer, Decca 4751002
Salieri, Mozart, Righini, "Arie di bravura", Diana Damrau, Le Cercle de l'Harmonie, Jérémie Rhorer, Virgin/EMI CD 0094639525027
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