Ein Stück amerikanische Geschichte
Der Fluch des Edgar Hoover
Der französischsprachige Autor Marc Dugain hat ein bemerkenswertes Buch geschrieben: "Der Fluch des Edgar Hoover", so der deutsche Titel, bietet nichts weniger als einen Abriss der amerikanischen Geschichte, verpackt im Gewand eines Romans.
8. April 2017, 21:58
Ein Mann erwirbt ein geheimnisvolles Manuskript, das seit Jahrzehnten in Verlegerkreisen kursiert, dessen Veröffentlichung aber allzu brisant erscheint, denn es handelt sich um die Erinnerungen von Clyde Tolson, dem stellvertretenden Direktor des FBI und heimlichen Lebengefährten von J. Edgar Hoover. Und diese Erinnerungen haben es in sich: Minutiös lässt Marc Dugain in seinem Roman Clyde Tolson beschreiben, wie Hoover die amerikanische Politik kontrollierte, wie er mit Präsidenten und Mafiabossen verkehrte, wie er Informationen sammelte und seine Macht ausspielte.
"Er war eine sehr komplizierte Persönlichkeit", erzählt Marc Dugain. "Er war homosexuell und natürlich gab er das damals nicht zu, denn er wollte nicht, dass andere über sein Privatleben redeten. Daher wollte er genau wissen, was im Leben anderer Menschen vorging. Er wollte eine Versicherung für den Fall haben, dass jemand seine Homosexualität öffentlich machen würde. So entwickelte er eine Art faschistisches Überwachungssystem."
Auftrag zum Mord
Gleichzeitig entwirft Marc Dugain ein atemberaubendes und manchmal ziemlich beängstigendes Bild der jüngeren US-Geschichte und ihrer Protagonisten. Er zeigt Joe Kennedy als skrupellosen Patriarchen des Kennedy-Clans, John F. Kennedy als sexbesessenen und schwerkranken Mann, seinen Bruder Robert als machthungrigen und gleichzeitig seltsam schwächlichen Justizminister, für den J. Edgar Hoover nichts als Verachtung empfindet.
Marilyn Monroe, mit der beide Brüder ein Verhältnis haben, muss sterben, als sie droht, ihre Informationen öffentlich zu machen, und schließlich wird auch John F. Kennedy selbst zu einer Bedrohung - weshalb Hoover und Tolson zwar nicht direkt in das Attentat verwickelt sind, es aber durchaus wohlwollend billigen.
Ich muss zugeben, dass ich mich nicht gegen den Gedanken aufgelehnt habe, dass der Präsident ermordet werden müsse. Wollte ich Ihnen sagen, ich hätte gewusst, von wem, auf welche Weise und wann, so wäre das pure Geschichtsklitterung, und ich würde mir eine Rolle anmaßen, die ich nicht hatte. Unser System, die intimsten Gespräche der Großen dieses Landes abzuhören, war flächendeckend und effizient genug, dass über den letalen Ausgang kein Zweifel bestehen konnte. Ich möchte diesen Zeitpunkt gern mit dem vor der Landung der Alliierten in Europa anno 44 vergleichen: Dass der Angriff stattfinden würde, stand außer Diskussion. Lediglich die Modalitäten blieben vertraulich.
Der Umgang mit der Wahrheit
Nicht umsonst hat Marc Dugain seinen Roman ausgerechnet zu einem Zeitpunkt veröffentlicht, an dem die Politik der USA umstritten ist wie lange nicht mehr. Es geht um den Umgang mit der Wahrheit - und diesbezüglich, so meint Dugain, habe sich nichts verändert:
"Als ich dieses Buch schrieb, hatte ich das Gefühl, dass es um die Lügen Amerikas gegenüber der Welt ging", erzählt der Autor. "Die erste, große Lüge der USA gegenüber der Welt betrifft den Tod von John F. Kennedy, die Art, wie er umgebracht wurde und wie er als Mensch gewesen ist. Ich wollte die Wahrheit herausfinden, die Dinge wirklichkeitsgetreuer darstellen, als es all diese Geschichten aus Amerika in den vergangenen Jahren getan haben. Die Parallele dazu, was im Irak geschehen ist, ist offensichtlich. Der Krieg im Irak basierte auf einer Lüge. Einer der Gründe, warum es für die US-Regierung so einfach war, die Menschen zu belügen, den Krieg im Irak zu rechtfertigen, ist die Tatsache, dass sie nie die Wahrheit über den Tod Kennedys gesagt haben."
Sechs Monate Recherchen
Erstaunlich ist, dass Dugains Recherchen für seinen Roman weit weniger aufwendig waren als man annehmen möchte. Er habe gerade genug gelesen, um sich eine Meinung bilden zu können, sagt der Autor selbst - und sogar das beeindruckende Insiderwissen über das FBI eignete er sich innerhalb weniger Monate an:
"Ich habe die Bücher gelesen, die jeder lesen kann, und danach bekam ich über einen Freund die Gelegenheit, einige Akten des FBI zu studieren. Das war viel Arbeit und es war nicht immer interessant, aber substanziell. Am Ende dieser Recherchen, nach ungefähr sechs Monaten, hatte ich eine Vorstellung davon, was damals wirklich geschehen war, vor allem hinsichtlich des Mordes am Präsidenten. Und dann begann ich zu schreiben."
Porträt eines zwielichtigen Mannes
Herausgekommen ist ein bestrickendes Buch über den Umgang mit der Macht - aber auch ein Buch, das die privaten und meist nicht besonders sympathischen Seiten der Mächtigen beleuchtet. Durch den literarischen Kunstgriff, Hoovers Lebensgefährten als Erzähler einzusetzen, kann sich Dugain seinen Figuren annähern, er zeigt Clyde Tolson als scharfen Beobachter, der freilich selbst ebenso wenig moralische Skrupel hat wie Hoover oder die Kennedys.
Und so entwirft Marc Dugain nicht nur das faszinierende Porträt eines zwielichtigen Mannes an den Schalthebeln der Macht, sondern führt den Leser in düstere Bereiche fernab von Moral und Menschlichkeit, in denen es vor allem um Selbsterhalt geht, und darum, Geheimnisse zu bewahren oder sie geschickt zum eigenen Nutzen auszuspielen. Fast vergisst man mitunter, dass es sich um einen Roman handelt, um eine beunruhigende Fiktion, die freilich den Tatsachen durchaus nahe kommen dürfte.
Hör-Tipp
Ex libris, Sonntag, 20. Jänner 2008, 18:15 Uhr
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Buch-Tipp
Beitrag: Marc Dugain, "Der Fluch des Edgar Hoover”, aus dem Französischen übersetzt von Michael Kleeberg, Frankfurter Verlagsanstalt
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Frankfurter Verlagsanstalt