Jeder macht es

Multitasking

Wir leben in einem Zeitalter, in dem alles gleichzeitig, sofort passieren muss, schrieb der kanadische Medientheoretiker Marshall McLuhan. Gleichzeitigkeit, so der deutsche Kunsthistoriker Peter Bexte, ist so alt wie die Menschheit selbst.

Gleichzeitigkeit, so der deutsche Kunsthistoriker Peter Bexte, ist so alt wie die Menschheit selbst, aber als Konzept wahrgenommen wird sie erst seit dem 19. Jahrhundert.

Damals gab es noch keine Computer und kein Handy, aber es gab Frederick Winslow Taylor und seine Theorien über Effizienz und wissenschaftliches Management.

Keine Zeit verlieren

Um die Effizienz einer Arbeitskraft zu steigern, stellt er sie unter Beobachtung. Möglich wurde das mit Hilfe der Fotografie. Auch heute müsse man sich zuerst ein Bild machen, so Peter Bexte, um in der Lage zu sein etwas zu begreifen.

Ein bekanntes Motiv für Multitasking ist der Rikschafahrer, der zwischen den Autos eingeklemmt an einer Kreuzung steht: Hinter ihm sitzen die Kunden, vor ihm zeigt die Ampel auf rot und der Fahrer selbst telefoniert. Ein anderes zeigt einen Computer, davor sitzt eine Person die telefoniert, während im Hintergrund gerade ein Kollege den Raum betritt. Es gibt Ablichtungen von Jugendlichen in der U-Bahn, die eifrig Kurznachrichten tippen, während sie Musik hören.

All diese Bilder, so Peter Bexte, sagen im Grunde recht wenig über die Bedeutung von Multitasking aus. Dafür benötigt man die Technik der Mehrfachbelichtung. Denn nur mit einem Trick lässt sich die Utopie aufrechterhalten, dass mit Hilfe von Multitasking Zeit gewonnen werden könne.

Das Zusammenführen von hintereinander aufgezeichneten Bildern zu einem einzigen Bild zeigt aber auch, dass die Vorstellung, mit Hilfe von Gleichzeitigkeit den Zeitverlust gegen Null zu treiben, vom Menschen gar nicht einlösbar ist.

Lust oder Langeweile?

Multitasking verschlingt Energie, trotzdem lässt sich beobachten, dass Menschen daran Gefallen finden. Autofahrer genauso wie "Homo Zappiens", so nennt Vim Ween von der technischen Hochschule Delft in den Niederlanden jene Kinder, die heute nur mehr an einem einzigen Ort dazu gezwungen werden, können ihr Handy abzudrehen: im Klassenzimmer.

Homo "Zappiens" lesen keine Handbücher. Wenn sie zum Buch greifen, dann lesen sie nicht linear, sondern quer; von links oben nach rechts unten. Lernen ist für sie ein Videospiel. Sie sind in der Lage, mit zehn Kollegen gleichzeitig zu kommunizieren und wechseln bei Online-Spielen problemlos zwischen verschiedenen Charakteren hin und her. Sie wollen andere Dinge nebenbei erledigen, schon allein um sich nicht zu langweilen.

"Es wäre faszinierend herauszufinden, warum das so ist", meint der niederländische Kognitionswissenschafter Niels Taatgen. "Warum sind die Menschen so bedacht darauf Situationen zu vermeiden, in denen sie sich langweilen? In denen ihre kognitiven Fähigkeiten gewissermaßen nicht ausreichend befriedigt werden? Es hat den Anschein, als würden sie einem inneren Zwang folgend ständig darauf bedacht sein, sich neues Wissen anzueignen; als würden sie dem Bedürfnis unterliegen, ihre - nennen wir es kognitive Bandbreite - ständig zu erweitern."

Multitasking nur in Routinesituationen

Unterforderung kann ein Grund dafür sein, warum Menschen gerne zwei Dinge auf einmal tun: Radiohören und Autofahren zum Beispiel. Fernsehen und Computerspiele spielen, Telefonieren und Strichmännchen zeichnen; jeder hat es schon einmal getan. Auffällig ist nur, dass es damit schlagartig vorbei ist, wenn etwas Unerwartetes passiert. Wenn eine Routinesituation in Stress ausartet oder eine Krisensituation eintritt, verschwindet die Lust auf Multitasking. Was folgt, ist die Angst, zerrissen zu werden, seine Einheit zu verlieren.

Erstaunlich ist, dass überall dort, wo es um kritische Anwendungen geht, wie zum Beispiel bei der Raumfahrt und der Flugkontrolle, auf allzu viele optische und akustische Eindrücke verzichtet wird. Überall dort, wo vieles im Griff behalten werden muss, vertraut man lieber auf die Reduktion.

Fluglotsen und Multitasking
Für Andreas Schallgruber, Leiter der Austro Control Akademie und damit Zuständig für die Ausbildung von Flugverkehrsleitern, hat Multitasking auch nichts mit der Fähigkeit zu tun, viele elektronische Geräte gleichzeitig zu bedienen; Multitasking bedeutet für Fluglotsen, unterschiedlichste Informationen zu einem einzigen Bild, zu einem Ganzen zusammenzuführen.

Um seine Multitaskingfähigkeit zu testen, empfiehlt Schallgruber folgende kleine Übung: "Hören Sie Nachrichten und lesen Sie nebenbei ein hochwertiges Buch und überprüfen Sie danach, was Sie sich gemerkt haben."

Hör-Tipp
Radiokolleg, Montag, 21. Jänner bis Donnerstag, 24. Jänner 2008, 9:30 Uhr